Gut 16.000 Menschen haben am Samstag (27. Januar) vor dem EPH ein Zeichen für Demokratie gesetzt. „Wir sind mehr“ lautete das Motto der Großdemonstration gegen Rechts.
„Wir zählen 12.000 Demonstrierende“, berichtete Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies zu Beginn seiner Rede vor dem Erwin-Piscator-Haus (EPH). Mehr als 120 Organisationen hatten den Aufruf des Magistrats der Universitätsstadt Marburg zu der Demonstration unterschrieben. Wegen des erwarteten Andrangs hatten die Veranstalter auf einen Demonstrationszug durch die engen Gassen der Oberstadt zum Marktplatz verzichtet.
„Wir sind mehr“, lautete eine Parole der Demonstrierenden. „Wir werden mehr“, rief jemand, als Spies die Zahl der Teilnehmenden erstmals verkündete. Kaum eine Stunde später konnte der Oberbürgermeister dann 16.000 Teilnehmende an der Demonstration vermelden.
„Wir sind die – nicht mehr schweigende – Mehrheit“, lautete ein anderer Spruch. „Marburg zusammen gegen den Faschismus“ riefen viele Anwesende oder trugen es auf Schildern an Bauch und Rücken. Die Angriffe von Rechtspopulisten und der AfD auf Demokratie und die Solidarität mit Geflüchteten wollten sie alle nicht hinnehmen.
„Wir stehen heute zusammen gegen ass und Hetze, gegen Lügen und Verleumdungen“, eröffnete Oberbürgermeister Spies die Kundgebung „Marburg gegen Rechts“. „Wir stehen zusammen gegen diejenigen, die aus ihrem Hass ein System staatlicher Bosheit machen wollen.“ So habe es damals auch angefangen, zitierte er die 102-jährige Holocaust-Überlebende Margot Friedländer: „mit Wahlergebnissen, die binnen fünf Jahren von unter drei auf 43 Prozent für die NSDAP 1933 springen, mit offener Menschenfeindlichkeit, mit Verächtlichmachung von allen, die dem rassistischen Menschenbild der Rechtsextremen nicht entsprachen, mit dem erklärten Willen, Millionen Menschen aus der Gemeinschaft zu vertreiben, ihre Existenz, ihre Lebensgrundlage, am Ende die Menschen selbst zu vernichten. „So hat es damals auch angefangen, mit dem Ruf, ,die anderen‘ an die Wand zu stellen.“
Viel zu wenige wollten Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts glauben, dass die Menschenfeinde genau das wahrmachen würden, was sie offen angekündigt hatten. Umso größer war das Erschrecken. Doch allzu viele hatten den Faschismus – insbesondere auch in Marburg – eifrig unterstützt.
„Nie wieder Faschismus“ lautete deshalb das Versprechen der Überlebenden nach dem Ende des 2. Weltkriegs. „Nie wieder ist jetzt“, wiederholge Spies mehrmals. „Nie wieder ist heute. Nie wieder heißt: Wir stehen zusammen, vor allem gemeinsam an der Seite aller, die am Wannsee gemeint waren. Alle gehören dazu, hier und heute und jeden Tag.“
Die beste Rede hielt Sylvie Cloutier vom Ausländerbeirat: „Ihr braucht uns doch. Wir sind eure Bademeister*innen, eure Busfahrer*innen, eure Erzieher*innen und eure Unternehmer*innen.“ Aber auch die Deutschen bräuchten die Migrantinnen und Migranten, erklärte sie. „Und Ihr braucht uns, um uns zu belehren.“
Selbst die AfD brauche die Migrantinnen und Migranten, denn sonst hätte sie ja kein Feindbild mehr. Nicht hilfreich seien jedoch Politiker und Parteien, die Migration zu einem Problem hochstilisierten und so der AfD in die Hände spielten. Cloutier fragte, ob sie und die anderen aussähen wie ein Problem.
„Nein! Wir sind Menschen, die das Leben an diesen Ort verschlagen hat, zu anderen Menschen, die das Glück hatten, hier geboren zu sein und nicht in Kriegsgebieten.“ Marburg sei ihre Heimat geworden. „Wir bleiben hier“, rief sie unter großem Beifall der Anwesenden.
Dass auch die Kinder und Jugendlichen für Vielfalt, Toleranz, Offenheit und Respekt sowie vor allem für Bildung und Beteiligung sind, demonstrierten Lasse Wenzel und Marie Kaiser vom Marburger Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) bei der Kundgebung eindrucksvoll. Die beiden wollten „Verantwortung für unsere Zukunft übernehmen, denn Demokratie kennt keine Altersgrenze.“
Michael Heiny von der Geschichtswerkstatt erinnerte daran, dass am 27. Januar 1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde. Auschwitz wurde das Symbol für die Verfolgung, Deportation und Ermordung von Menschen. Betroffen gewesen seien „all jene, die die völkische NS-Ideologie zu Volksfeinden erklärt hatte und gnadenlos verfolgte.“
Er ordnete die Rolle des braunen Marburgs und der völkisch-nationalistischen Burschenschaften ein. Auch heute lüden sie wieder „“echte Vordenker wie Höcke“ zu Veranstaltungen ein, die geistige Brandstifter seien mit ihren Plänen zur sogenannten „Remigration“. „Lernen wir aus unserer Geschichte“, forderte er. „Setzen wir uns solidarisch ein für Gleichheit und Menschenwürde. Stellen wir uns in der Wahlkabine, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft gegen diese Brandstifter und Biedermänner!“
In Namen der Philipps-Universität betonte ihr Präsident Prof. Dr. Thomas Nauss die Bedeutung von Vielfalt und Freiheit für ie Wissenschaft. Als Letzte versprach die Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Elke Neuwohner: „Unser Land und unsere Stadt bleiben frei, bunt und solidarisch.“
Im Namen der Stadtverordneten warnte sie: „Wir hatten schon mal einen Diktator in diesem Land. Der auch vorher detailliert aufgeschrieben hat, was für furchtbare Dinge er vorhat. Das hat man nicht sehen wollen. Diesen Fehler des Verharmlosens, des Nicht-sehen-Wollens, dürfen wir nie wieder machen!“
Faschisten dürften keine einzige Wahl gewinnen: „Wenn sie einmal an der Macht sind, bekommt man sein Land erst dann wieder, wenn es in Trümmern liegt“, warnte Neuwohner. Die Gesellschaft und auch die Politik seien gefordert, sich zu wehren und den Krisen erfolgreich zu begegnen. Wer überlege, auszuwandern, solle das nicht. „Das ist unser Land und das sind unsere Straßen, gemeinsam sorgen wir dafür, dass unser Land und unsere Stadt frei, bunt und solidarisch bleiben.“
Zum Ende der Versammlung stimmte die stimmgewaltige Sängerin Letso Rose Steinhoff noch einmal das antifaschistische Kampflied „Bella Ciao“ an, wobei Zigtausende mitsangen. Gleiches geschah auch ei der US-amerikanischen Bürgerrechtshymne „We shalll overcome“. In zahlreichen lockeren Demonstrationszügen zogen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der größten Demonstration zumindest der jüngeren Marburger Geschichte anschließend in der Hoffnung nach Hause, dass die Kämpferinnen und Kämpfer für Demokratie und Mitmenschlichkeit in Marburg die – nicht länger schweigende – Mehrheit sind.
* Franz-Josef Hanke
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