Wir beschleunigen unsere Schritte und biegen auf die Autobahnauffahrt ein. Diese Rampe bin ich noch nie hinaufgegangen.
Ein unablässiger Strom von Fußgängerinnen und Fußgängern zieht sich die Bahnhofstraße entlang und dann auf die Stadtautobahn hinauf. Am Sonntag (5. Juni) ist die B3A für Autos gesperrt. Mit der Aktion „Tischlein-deck-Dich“ feiert Marburg darauf sein Stadtjubiläum.
Eine Schranke versperrt Autos den Weg auf die Stadtautobahn. Darum müssen wir eine Stufe hinaufsteigen auf den Gehsteig und gleich dahinter wieder hinab. Danach sind wir auf einer Kraftfahrstraße, auf der keine Autos fahren.
Die lauteste und lästigste Straße Marburgs ist am Pfingstsonntag ausschließlich Fußgängerinnen und Fußgängern sowie Fahrrädern und Rollschuhfahrenden vorbehalten. Die westliche Fahrspur zum Lahnufer hin haben sie an diesem Tag ganz für sich. Auf der östlichen Fahrbahn von Gießen nach Kassel wurden 800 Tische sowie Biergarnituren aufgestellt, um das Stadtjubiläum auf der Stadtautobahn gebührend zu feiern.
Wir laufen zwischen zwei Steinblöcken hindurch. Sie sollen wohl ein zusätzlicher Schutz der unmotorisierten Tagesgäste vor Autos sein, vermute ich. Nach einigen Amokfahrten durch Fußgängerzonen ist so etwas leider unvermeidlich geworden.
Der Strom der Fußgängerinnen und Fußgänger hat sich gelichtet. Fahrräder rollen leise die Fahrbahn entlang Von Weitem ist Musik zu hören.
Wie kommen wir jetzt auf die andere Seite? Hinter der Leitplanke befindet sich die eigentliche Festmeile. Irgendwie müssen wir dorthin gelangen.
An mehreren Stellen befinden sich Übergänge. Aus Metallplanken wurden Brücken über die Leitplanken gebaut. Auf der einen Seite führt eine Rampe hinauf und eine Metallbrücke hinüber sowie auf der anderen Seite dann wieder eine steile Schräge hinab.
Mit mulmigem Gefühl besteige ich diese Konstruktion. Leider gibt es keinen Handlauf. Für mehrfachbehinderte Blinde wie mich ist das kein Vergnügen.
Ein Helfer steht auf der einen Seite der Leitplanke. Notfalls könnte er eingreifen.
Doch das ist nicht nötig. Glücklich gelange ich auf der östlichen Spur wieder auf die Straße. Mit schnellen Schritten laufe ich nun gespannt voran.
Tische stehen in geringem Abstand nebeneinander. Hinter den Tischen sitzen Leute, um Auskunft über die jeweilige Organisation oder den betreffenden Verein zu geben. Davor stehen Interessierte, um sich über deren Aktivitäten zu informieren.
„Hallo, Franz-Josef“, spricht mich eine wohlbekannte Stimme an. Dr. Hans-Josef Schöneberger lotst uns an den Stand von „MR7“. Dort begrüßt Jupp mich gemeinsam mit dem DGB-Kreisvorsitzenden Pit Metz.
Gemeinsam mit fünf weiteren Wort- und Sprachinteressierten haben sie „MR7“ gegeründet. Am ihrem Stand beim Stadtfest tragen die beiden eigene Gedichte und Geschichten vor. Wir lauschen Pit, der zwei anzügliche Gedichte über den Rathausgockel und eine Henne rezitiert.
Derweil begrüßt mich auch Jochen Schmidt. Ich freue mich, meinen netten Kollegen vom Hessischen Rundfunk (HR) hier zu treffen. Ihn kenne ich bestimmt schon seit rund 20 Jahren.
Über das „Tischlein-deck-Dich“ berichtet er für das Fernsehen. Darum muss der Reporter auch schnell weiter.
Auch wir setzen unsere wanderung fort. Mitunter müssen wir unser Tempo drosseln, da sich an einigen Tischen das Publikum knäuelt. Stellenweise herrscht dichtes Gedränge.
Mehrere Zigtausende mögen an diesem Pfingstsonntag unterwegs sein auf der Marburger Stadtautobahn. Allein die Anzahl der Stände zeugt schon von einer vierstelligen Zahl aktiver Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Aktion „Tischlein-deck-Dich“.
Auf einer Bank nehmen auch wir Platz an einem Tisch. Ich trinke einen Kaffee und lausche den Gesprächen ringsum. Die Atmosphäre ist heiter und gelöst, obwohl ein paar Regentropfen vom Himmel herabfallen
Für den Nachmittag ist Regen angesagt. Bis zum Mittag war es aber noch trocken gewesen.
Ich stehe auf und mache mich mit meiner Begleiterin wieder auf den Weg. An vielen Tischen vorbei führt uns der Weg zur Bühne bei der Alten Universitätsbibliothek. Schon von weitem hören wir harmonischen Chorgesang.
Die Gruppe singt „All the logest Time“ von Billy Joel. AufVolkslieder und ein Kirchenlied folgt ein lateinamerikanisches und ein südafrikanisches Lieb. Danach tritt eine andere Gruppe mit Gospels auf.
Wir machen uns wieder auf den Rückweg. Ein Bratwurststand hält uns nur kurz auf. Die Wurst schmeckt gut und sättigt.
An einem benachbarten Stand gibt es Glasnudeln und Kuskus-Salat. Dazu bietet er Wanderheuschrecken und andere Insekten an. Die Schlange davor ist allerdings nicht ganz so lang wie die vor dem Bratwurststand.
Zügigen Schritts gehen wir wieder zurück in Richtung Hauptbahnhof. Ein Nieselregen hat eingesetzt und beschleunigt unsere Schritte. Richtig nass werden wir aber nicht.
Laut hämmernde Beats dröhnen am Wegesrand. „Marburer Clubs united“ präsentieren dort „Marburgs jüngsten DJ“. Der Junge hinter den Reglern mag vielleicht zehn oder elf Jahre alt sein.
Noch einmal folgt eine Reihe von Tischen mit Essen. Insgesamt gibt es aber weitaus weniger Essensstände, als ich erwartet hatte.
Die Autobahnausfahrt eröffnet den Ausgang zur Stadt. An der Zimmermannstraße gelangt man auf die Neue Kasseler Straße. Von dort ist es nicht mehr weit bis zum Hauptbahnhof.
Wir biegen ein in die Neue Kasseler Straße und laufen den Gehweg entlang. Nun sind wir wieder „im normalen Alltagsleben“ angekommen.
„Suchen Sie einen Aufgang?“ Die Frage einer Passantin beantworte ich mit einem „Nein danke, wir kommen gerade von der Stadtautobahn.“
Müdigkeit macht sich in meinen Knochen breit. Dennoch drängt sich ein Gedanke in mein Hirn, der etwas sehr ermutigendes hat angesichts der Debatten über Verkehrswende und Klimaschutz: Wäre es nicht schön, wenn die lärmende Stadtautobahn dauerhaft nur Fußgängerinnen und Fußgängern sowie Radfahrenden vorbehalten bliebe!
* Franz-Josef Hanke
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