Wann das „Café am Markt“ eröffnet wurde, weiß ich nicht genau. Es muss wohl irgendwann Mitte der 80er Jahre gewesen sein.
Bis dahin war das „Café Vetter“ an der Reitgasse die einzige Lokalität im Wiener Kaffeehausstil in der Oberstadt. Lediglich das „Café Klingelhöfer“ an der Kreuzung der Haspelstraße mit der Liebigstraße war damit vergleichbar. Richtig attraktiv wurde das „Café am Markt“ für mich erst, als der Marktplatz Ende der 80er Jahre neu gestaltet wurde.
Damals erhielt das Café seine „Terrasse“ mit Stufen hin zum gepflasterten Platz. Während die Stufen mitten auf dem zuvor stufenlosen Platz mich und manche Blinde oder Rollstuhlfahrende unnötig behinderten, eröffneten sie dem „Café am Markt“ ganz neue Ausblicke. Von den leicht erhöhten Sitzen dort hat man einen herrlichen Ausblick über den Marktplatz.
Doch auch diese Außenterrasse ist ebenso stufenlos erreichbar wie das Innnere des Cafés. Neben dem „Market“ an der Einmündung der Nicolaistraße und der Barfüßerstraße in den Marktplatz ist das „Café am markt“ anscheinend das einzige Lokal in der Oberstadt, das Menschen im Rollstuhl barrierefrei erreichen können. Allerdings sind die Toiletten in beiden Fällen nicht rollstuhlgerecht.
Das Innere des „Cafés am Markt“ hat bislang keine größere Anziehungskraft auf mich ausgeübt. In all den Jahren meiner Präsenz in Marburg habe ich dort kaum mehr als sechs oder sieben Mal gefrühstückt, Kaffee und Kuchen zu mir genommen oder Salat gegessen. Allerdings erinnere ich mich an eine Pressekonferenz im „Café am Markt“ mit dem damaligen SPD-Europa-Abgeordneten Martin Schulz.
Draußen hingegen habe ich häufig gesessen und Kakao oder Kaffee und Kuchen genossen. Mit lieben Menschen habe ich dabei gesprochen und mit anderen, die ich kaum kannte. Immer wieder habe ich von der Terrasse dort auf den Marktplatz hinabgehorcht und Veranstaltungen dort verfolgt.
Man kann das Treiben auf dem Platz beobachten oder bei Demonstrationen und Veranstaltungen das Geschehen wie aus einer Loge heraus verfolgen. Dazu kann man leckere Torten und Kuchen oder heiße und kalte Geetränke sowie Eis genießen. Bei Regen sitzt man unter einem Dach und wird nicht nass, während die Leute auf dem Platz ihre Schirme aufspannen.
Unter dem Dach habe ich am 1. Februar 2020 dem strömenden Regen getrotzt und die erste Mahnwache zur Freilassung von Julian Assange mitgemacht. Nach der fünften Mahnwache dazu auf dem Marktplatz war dann Schluss. Der erste Corona-Lockdown verhinderte weitere Aktivitäten dieser Art.
Einen Wahlkampfauftritt von Daniel Cohn-Bendit habe ich im Mai 2014 mit einer Freundin aus Frankreich von dieser Terrasse aus beobachtet. Am Schluss setzte sich „der rote Dani“ – wie er 1968 genannt wurde – an den Nebentisch und redete mit mir. Der damalige Europa-Abgeordnete der Grünen hatte mich in Erinnerung an gemeinsame Zeiten bei den Grünen Hessen wiedererkannt.
Zusammen mit meiner Ehefrau Erdmuthe Sturz habe ich mehrmals dort gesessen und auf den Beginn von Freilichtaufführungen des Hessischen Landestheaters Marburg (HLTM) auf dem historischen Marktplatz gewartet. Nach ihrem Tod habe ich das mit anderen Begleitpersonen wiederholft; doch war es dann nicht mehr das selbe wie zuvor. Immer war die schmerzliche Erinnerung an unwiederbringliche Zeiten im Hintergrund anwesend.
Unvergessen bleibt mir vor allem aber das Eis, das ich am 8. September 2005 nach der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes auf der Terrasse des „Cafés am Markt“ gegessen habe. Alle meine Geschwister, meine Mutter, meine Patentante und mein Onkel Adi waren extra angereist, um an der Feierstunde im Historischen Saal des Rathauses teilzunehmen. Das war der einzige Tag, an dem ich das große Kreuz an meiner Brust getragen habe.
Im Frühjahr 2022 wurde das „Café am Markt“ vorübergehend geschlossen. Wie viele andere Cafés und Restaurants hatte es heftig gelitten unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Allerdings wurde es dann im Sommer mit einem neuen Angebot wiedereröffnet.
Betreiber des Cafés sind Felix und Peter Heinzmann. Bereits in dritter Generation führen sie auch das „Hotel Stümpelstal“ in Michelbach. Im Gegensatz zu diesem Hotel-Restaurant in der Dorfmitte des westlichen Marburger Stadtteils zählt ihr „Café am Markt“ für mich aber eindeutig zu den legendären Lokalen in Marburg.
* Franz-Josef Hanke