„ich bin eine Ermöglicherin“, sagt Jessica Petraccaro-Goertsches. Seit 2017 betreibt sie in Weidenhausen die „Galerie JPG“.
„Bisher hat die Galeristin ihre Räumlichkeiten an der Weidenhäuser Straße und Am Schwanhof für geringes Geld gelegentlich an andere Kunstschaffende weitervermietet. Wegen des Ausfalls aller Veranstaltungen aufgrund der Corona-Pandemie brechen diese Einnahmen nun weg. „Viele Künstlerinnen und Künstler trifft es aber noch weitaus härter als mich“, berichtet sie.
„Gerade in der Krise tut Kunst den Menschen gut“, findet sie. Auf ihrer Internetseite www.galeriejpg.de bietet die Galeristin Kunstwerke zum Kauf an. Mit dem Erwerb eines Bildes beispielsweise könnten Kunstinteressierte zugleich sich selbst und den Kunstschaffenden etwas Gutes tun, erklärt sie. Ihre eigenen Arbeiten hat Petraccaro-Goertsches – ebenso wie ihre Galerie –
nach ihren Initialen „JPG“ genannt. Zugleich stehen diese drei Buchstaben auch für das Dateiformat der Fotos. „Meine JPGs sind Aufnahmen, die ich beispielsweise durch Glasscheiben fotografiert habe und hinterher nicht mehr bearbeite“, erklärt sie.
Geboren wurde sie 1980 im badischen Herbolzheim. Ihr Vater stammte aus Italien. Ihre Mutter war eine Einheimische.
Aufgewachsen ist sie überwiegend bei ihren Urgroßeltern. „Sie haben mich immer darin bestärkt, meinen Neigungen zu folgen und das zu tun, wofür ich brenne“, erinnert sie sich. „Schon als Kind habe ich viel und gern gemalt.“
Nach dem Abitur studierte sie in Karlsruhe Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften. Nach dem Studium war sie am Institut für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) als Wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Lehrverpflichtung sowie als Fachreferentin tätig. Vorübergehend lebte sie auch in Berlin, Hamburg und Köln.
Nach Marburg kam sie, weil ihr Ehemann eine Stelle an der Philipps-Universität antrat. „Besonders Weidenhausen gefällt mir sehr gut“, schwärmt sie. „Als ich meine Galerie eröffnete, kamn die Menschen aus der Nachbarschaft und waren neugierig, was ich da tue, obwohl viele von ihnen kaum Berührungspunkte mit Kunstprojekten hatten.“
Dieser Offenheit in Weidenhausen stehe jedoch eine gegenteilige Haltung mancher Menschen in den umliegenden Dörfern gegenüber, bedauert die Künstlerin. Auch im Stadtbus habe sie leider schon rassistische Erfahrungen gemacht. Insgesamt erlebe sie Marburg aber als aufgeschlossen und offen.
Vor allem hat sie inzwischen ein Netzwerk von Kunstschaffenden aufgebaut, die einander befruchten und unterstützen. „Die Liste meiner Marburger Lieblings-Bildenden-KünstlerInnen ist lang“, sagt Petraccaro-Goertsches.
„Die Performerin Ursula Eske verwebt in ihren präzise auf den Raum ausgelegten Installationen brennende aktuelle Themen und Betrachtungsweisen“, sagt Petraccaro-Goertsches. „ihre verbindenden Happenings sind legendär und tragen meines Erachtens zu einem nicht unwesentlichen Teil zum Verständnis der Marburger Kunstszene bei.“
Der vor wenigen Jahren zugezogene Alexandru Raevschi beeindruckt sie immer wieder dank neuer, kritischer Werkreihen oft in XXL-Formaten, aber auch aus den Bereichen Video und Skulptur: „Auch, wenn er seine Arbeiten selber sicherlich anders einordnen würde, sehe ich sie im Kontext politischer Kunst. Sein beeindruckendes Gespür für das kulturelle Gedächtnis einer Nation trägt neben seinem soliden technischen Können dazu bei, dass seine Werke immer den nötigen Biss für uns Zeitgenossen haben.“
Mi Sun Chois Kunst verfolgt einen ganz anderen Ansatz: „Für mich halten ihre stark existentiellen Arbeiten unser aller inneren Zustände fest, die philosophischen Fragen, die Ängste und Nöte Einzelner. Auf großartige Weise setzt die gebürtige Koreanerin innere, wie tatsächliche Bewegung (zum Beispiel sportliche) auf Leinwand um.“
Ebenfalls aus dem Bereich der Malerei und Ästhetik imponieren ihr die Servietten-Arbeiten der Nachwuchskünstlerin Tong Zhu: „Mit einem unglaublichen Gefühl für die Kraft der Farbe atmen ihre Papierservietten Tusche beziehungsweise Aquarellfarbe ein. Ihre Serien verweben asiatische und europäische Blickwinkel und bezeugen die Schönheit des Zufalls.“
Auch „das Kunst-Urgestein Rupert Eichler darf ich nicht vergessen zu nennen. Der selbst ernannte „Charakterkopfkünstler“ fertigt äußerst gelungene Selbstportraits in kräftigem Kohlestrich und Sepia unter malerischer Zuhilfenahme von Rotwein oder Kaffee an. Sicherlich erinnern sich manche auch an das – von ihm in Ton modellierte – Preisträger-Portrait für das Marburger Leuchtfeuer 2018…“
Als Preisgabe der Humanistischen Union (HU) hatte der Marburger Künstler en Miniature in wenigen Tagen den „Charakterkopf“ des Preisträgers Peter Fischer modelliert. Vermittelt hatte „JPG“ dieses Kunstwerk ebenso wie im darauffolgenden Jahr zwei ihrer Fotos für die beiden Preisträgerinnen Kristina Hänel und Ruby Hartbrich.
„Kunst verschiebt den Alltag“, sagt Petraccaro-Goertsches. „Sie eröffnet völlig neue Ausblicke und bringt die Menschen zum Nachdenken und auf neue Ideen.“
* Franz-Josef Hanke
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