Meisterin Schüler: Mit „Radio Universe“ ist Nino Haratischwili gekonnt auf den Hund gekommen

Georgien ist auf den Hund gekommen. Die junge Schauspielerin Valentina Schüler begeisterte die Premierengäste im Großen TaSch am Samstag (22. September) als Hund „Giorgy“.
Zur Eröffnung der ersten spielzeit unter den neuen Intendantinnen Carola Unser und Eva Lange feierte am Samstagabend das Theaterstück „Radio Universe“ von Nino Haratischwili Premiere im Theater am Schwanhof (TaSch). Im Rahmen des Programms „Szenenwechsel“ haben die Robert-Bosch-Stiftung und das Internationale Theaterinstitut in Hamburg Diese Koproduktion mit dem „Theater Tumanishvili“ in Tbilisi gefördert. Die Autorin selbst hat sie mit georgischen und deutschen Schau­spielerinnen inszeniert.
Eine junge Frau mit einer merkwürdigen Mütze rennt vom hinteren Eingang her zur Bühne und beginnt atemlos ihren Bericht. Ihre Besitzerin habe sie in Deutschland zurücklassen müssen, als sie nach Georgien aufbrach. Ihre Besitzerin stamme aus Georgien und wolle dort nach ihrem Vater suchen.
Derweil fällt unentwegt Schnee auf „Schon-Europa“, wie der Hund Giorgy den Westen in Unterscheidung zu Georgien nennt. Wütend schimpft Giorgy auf den Tierarzt und die Regeln, die einem deutschen Hund zwar die Ausreise nach Georgien gestatten, ihn nach einer Wiedereinreise aber unter fünfwöchige Quarantäne stellen, „als ob es in Deutschland keine Viren und Würmer gäbe“. Dann schaltet der Hund das Radio an.
Moderator Jo soll eigentlich Nachrichten verlesen, mag das angesichts der schrecklichen Neuigkeiten vom Krieg in Georgien aber nicht gerne tun. Lieber spielt er Musik für Adel, die ihm immer wieder ihre Musikwünsche übermittelt. Ebenso wie alle anderen Protagonisten ist sie einsam und auf der Suche nach geliebten Menschen.
Während Nino Burduli als Adel fehlerfreies Deutsch mit georgischem Akzent spricht, tragen Erekle Getsadze und Natia Parjanadze ihre Texte auf Georgisch vor. Dabei mimt Erekle Getsadze mit Ilja einen typischen Georgier, der auf der Suche nach einer Frau ist. Sie sei schwanger von ihm, aber er kenne ihren Namen nicht.
Meist nur nebenbei sprechen die Figuren im Stück vom Krieg. Tatsächlich waren es vier Kriege, die Georgien in den Jahren seit dem Untergang der Sowjetunion durchmachen musste. Alle brachten sie Angst, Tod, Trauer und die Trennung von geliebten Menschen.
Der Schneefall mitten im August ist der Bombenhagel im Krieg während der Olympischen Spiele in Peking. Der zurückgelassene Hund Giorgy verkörpert das Land Georgien, das der Westen alleinelässt mitten im Bombenhagel. Mit eindringlichen Metaphern umschreibt die Autorin das Elend des Kriegs und das Gefühl des Alleingelassen-Werdens eines ganzen europäischen Landes.
Für Menschen, die aus Georgien stammen und dort eigene Erfahrungen mit Krieg und Gewalt machen mussten, ist „Radio Universe“ schon eine emotionale Belastung. Für diejenigen, die – wie die Zuhörer des Radioprogramms oder des Fernsehens – nur gefilterte Nachrichten vom Krieg bekommen haben, ist die Auseinandersetzung damit gerade angesichts der aktuellen Fluchtbewegungen und der anstehenden Einstufung Georgiens als angeblich „sicheres Herkunftsland“ wichtig und wohl auch aus humanitären Gründen geboten.
Dieses Stück vermittelt zwischen den unbeteiligten Zuschauern und den Betroffenen. Wenn Zoe fordert, man solle ihr doch kein schlechtes Gewissen machen, damit sie Geld an irgendeine Hilfsorganisation spende, dann bringt Haratischwili das Dilemma der aktuellen Politik so ganz praktisch auf den Punkt. Zuschauen oder wegsehen stehen hier dem Mitgefühl mit den Leidenden gegenüber, ohne dass es auch nur eine Minute lang pathetisch würde.
Zwischen die ernsten Szenen, die häufig in georgischer Sprache auf die Bühne kommen, und die erst professionell muntere und dann immer trauriger werdende Moderation von Jo mischt sich manchmal der betrübt jaulende Hund ein. Wenn er das Wort ergreift, kommt das Publikum aus dem Lachen und Staunen kaum mehr heraus.
Haben Daniel Sempf als Radiomoderator Jo, Lisa Grosche als Zoe und die drei georgischen Schauspieler ihre Rollen sehr gekonnt auf die Bühne gebracht, so verblasst ihre Kunst doch deutlich hinter der einmaligen Leistung der jungen Valentina Schüler. Dieses Nachwuchstalent muss keinen Vergleich mit den Größten ihrer Branche scheuen. Als Hund Giorgy begeisterte sie durch temperamentvolle Spielfreude, riesiges komödiantisches Talent und überzeugende Darstellung des Texts.
Wenn Schüler als Giorgy Worte wie „ja“ oder „wo“ bellt, dann fließen diese Hundelaute so mühelos in die umrahmenden Sätze ein, dass sich der Eindruck aufdrängt, es könne gar nicht anders sein. Nichts an dieser Darstellung eines sprechenden Hundes wirkt bei ihr gekünstelt und nichts auch nur ansatzweise bemüht. Aus ihr fließt eine Einstellung heraus, die man nur mit der Erklärung der beiden Intendantinnen beschreiben kann: „Wir brennen für das Theater“.
Darum sollten möglichst viele Menschen diesen Genuss miterleben und sich dabei zugleich der berührenden Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt stellen. Zudem bietet Haratischwilis großartige Inszenierung ihres eindrucksvollen Stücks „Radio Universe“ die einmalige gelegenheit, eine künftige Schauspiellegende in jungen Jahren persönlich kennenzulernen. Dieses temperamentvolle Talent heißt zwar Schüler, ist aber bereits eine absolute Meisterin.

* Franz-Josef Hanke