„Scheitern gibt es im Theater zu selten“, meint Valentina Schüler. Von ihrer Zunft wünscht sich die Schauspielerin mehr Mut.
Ihr eigener Lebenslauf ist alles Andere als Ausdruck von Scheitern. Mit 25 Jahren ist Schüler die Jüngste im Ensemble des Hessischen Landestheaters Marburg (HLTM). Dennoch hat sie bereits große Rollen bekommen und an rennomierten Bühnen gespielt.
Oft wurde Schüler in der Vergangenheit auf jugendliche Rollen festgelegt. Davon möchte die Schauspielerin aber gerne wegkommen. Sie wünscht sich die ganze Bandbreite der Darstellungsmöglichkeiten als Herausforderung für ihr Können.
„Ich möchte auch mal eine Großmutter spielen“, erklärt sie. „Ich möchte meine Fähigkeiten einfach einmal austesten.“ Dabei möchte sie auch an ihre Grenzen gehen.
„Schlechte Rollen gibt es nicht“, meint Schüler. „Es gibt höchstens schlechte Darstellerinnen und Darsteller oder eine nicht gelungene Umsetzung der Rolle.“
Besonders brilliert hat Schüler als Hund „Georgi“ in der Inszenierung des Theaterstücks „Radio Universe“ der deutsch-georgischen Autorin Nino Haratischwili. Die Autorin, die dabei in Marburg auch selber Regie geführt hat, habe sie ganz besonders gefördert, berichtet die Schauspielerin.
Das Thema „Fremdheit“ und „Migration“ liegt ihr ganz persönlich am Herzen. 1994 wurde sie in Hamburg geboren. Ihre Mutter war damals vor dem serbisch-jugoslawische Krieg dorthin geflüchtet.
„Heute wäre das wohl nicht mehr möglich“, beklagt sie. „Die Grenzen sind dicht und kaum ein Flüchtling haben eine Chance mehr.“
Aufgewachsen ist Schüler zunächst in Hamburg und dann in Frankreich. Als Jugendliche kehrte sie mit ihrer Familie nach Deutschland zurück. In der Theater-AG ihrer Schule sammelte sie erste Bühnenerfahrungen.
Schon bald schloss sie sich dem Jugendtheaterclub am Schauspiel Karlsruhe an. Später folgten erste Rollen als Freie Schauspielerin.
Am“Mozarteum“ in Salzburg studierte sie nach dem Abitur Schauspiel. Schon während des Studiums spielte sie am Residenztheater München und bei den Salzburger Festspielen.
Beim „Intendanten-Vorsprechen“ in Berlin fiel sie dann den beiden Marburger Theaterintendantinnen Eva Lange und Carola Unser auf. Das Engagement am HLTM verschlug sie 2018 nach Marburg. Parallel dazu schloss sie ihr Studium in Salzburg ab.
Zum Fußballspielen und Sport kommt die junge Schauspielerin kaum noch. Intensiv pflegt sie dagegen weiterhin ihre Studienfreundschaften in Salzburg.
Eigentlich hätte sie im April wieder bei den Salzburger Festspielen auftreten sollen. „Aber wegen der Corona-Pandemie ist völlig unklar, ob die Festspiele überhaupt stattfinden können“, bedauert sie. In Zeiten des Coronavirus gewinnt digitale Technologie für sie eine wichtige Bedeutung, wogegen sie sonst gern auf Smartphone und Internet verzichten würde.
Für das Online-Programm des HLTM bereitet Schüler unter anderemeinen Ausschnitt des Tagebuchs von Anne Frank in Hörspielversion vor. Darüber hinaus beschäftigt sie sich in einem weiteren Format namens „Modus Vivendi“ mit der Thematik der Isolation und wird eine Fotostrecke dazu entwickeln.
Ihre Maxime ist der Wunsch nach Authentizität: „Wir sollten immer möglichst ehrlich sein“,fordert sie. „Das sage ich auch meinen jungen Leuten beim Theaterjugendclub, den ich beim HLTM betreue.“
Ehrlichkeit fordert sie vor Allem von sich selbst: „Man sollte sich immer wieder selbstkritisch fragen: Wer bin ich?“ und „Was kann ich?“ oder „Was kann ich ehrlicherweise nicht oder nicht gut?“
Schüler betrachtet sich selbst als politischen Menschen. Das Theater habe gerade beim Umgang mit politischen Entscheidungen und Entwicklungen eine wichtige Funktion. Es könne Menschen Mut machen, zu ihrer eigenen Überzeugung zu stehen und dafür offensiv einzutreten.
„Wir haben unsere Stimme, um sie – auch für andere – zu nutzen“, erklärt Schüler. „Wir alle sollten unsere Talente zum Wohle aller einsetzen.“
* Franz-Josef Hanke
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