Umgezogen: Das Eiscafé Venezia an der Wasserscheide

Eine echte Marburger Institution war das „Eiscafé Venezia“ an der wasserscheide. Von 1957 an residierte es fast 60 Jahre lang in der Neustadt 5.
Doch dann wurde der Mietvertrag nicht verlängert. Der traditionsreiche Eissalon an der belebten Fußgängerzone musste im Oktober 2016 schließen. Nach einer vorübergehenden Pause hat sein Besitzer Ezio Cais dann im März 2019 eine kleinere Eisdiele unweit des früheren Ladens in der Wettergasse 43 eröffnet.
Im Wesentlichen drei Eisdielen habe ich im Laufe der 45 Jahre meiner Präsenz in Marburg zumindest im Sommer regelmäßig besucht. Das „Eiscafé Venezia“ war dabei die erste Adresse. Gerne habe ich mit Bekannten draußen vor der Eisdiele auf der Straße gesessen, wo die Ströme der Einkaufenden vorüberliefen und eine interessante Geräusch- oder Bilderkulisse darboten.
Bei kühlerem Wetter habe ich auch oft drinnen gesessen und einen Kakao mit heißem Amaretto und Sahne getrunken. Dazu durfte dann auch im Frühjahr und Herbst ein großer Erdbeerbecher nicht fehlen oder ein Eisbecher mit Kirschen.
Über drei Stufen gelangte man seinerzeit in das italienische Eiscafé an der Neustadt. Geradeaus befand sich die Theke mit den großen Eisbomben und den Gerätschaften zur Herstellung heißer Getränke. Nach links ging es über drei weitere Stufen in den größeren Gastraum, wo man an kleinen Tischen bequem Platz fand zum Schlemmen und Schlürfen.
Das schräge Kopfsteinpflaster draußen hingegen machte das Aufstellen der runden Tischchen und der Stühle eher schwierig. Leicht war es nicht immer, einen stabilen Stand dafür zu finden. Wenn man dann aber saß, machte der Aufenthalt dort richtig Spaß.
Meine ersten Besuche im „Eiscafé Venezia“ habe ich 1977 mit Mitrehabilitanten meines „Blindentechnischen Grundlehrgangs“ an der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) unternommen. Später ging ich mit Kommilitoninnen und Kommilitonen, Freundinnen oder Freunden in die Eisdiele an der Wasserscheide. Im Sommer 1979 führte ich auch meine beiden jüngsten Brüder dorthin, die während der Sommerferien zu Besuch bei mir waren.
Noch im Sommer 2016 habe ich mit einer Freundin im alten „Venezia“ mehrmals heißen Amaretto mit Sahne getrunken. Damals schien mir der Eissalon so selbstverständlich wie das Straßenpflaster, über eine Geschäftsaufgabe oder eine Schließung hätte ich nicht einmal im Traum nachgedacht.
1968 hatte Ezio Cais das Geschäft von seinem Vater übernommen. Später hat er weitere Eisdielen in Marburg eröffnet. Doch vor allem der Eissalon in der Oberstadt hat auch ihn zu einer Marburger Institution gemacht.
Selbst während seiner Urlaube wurde er gelegentlich auswärts von anderen reisenden angesprochen, die ihn aus Marburg kennen. Bis zur Schließung des Lokals in der Neustadt erhielt er auch immer wieder Besuch von einstigen Marburger Studierenden, die das Café bei einem Erinnerungsbesuch wiedergefunden hatten und sich auch an ihn erinnerten. Angesichts der eher versteckten Lage seines neuen Eissalons oberhalb der Wasserscheide dürfte ihm das seither aber eher nicht mehr passieren.
Dabei ist das „Venezia“ heute kaum 50 Meter von seinem früheren Standort entfernt. Allerdings ist seine Lage längst nicht so verkehrsgünstig wie früher. Liefen damals fast alle Einheimischen und Touris bei ihrem Gang hinauf in die Oberstadt erst an der „Destille“ am oberen steinweg und dann direkt an der Eisdiele vorbei, so liegt sie heute abseits dieser belebten Standardroute.
Damals befand sich das „Eiscafé etwa 50 Meter unterhalb der Wasserscheide. Seine heutige Lage befindet sich etwa 20 Meter oberhalb der Abzweigung an jenem Arm der Wettergasse, dessen Verlängerung der „Renthof“ ist. Auch vor dem neuen Lokal sind im Sommer auf der engen Gasse einige wenige Tische aufgestellt.
Die Qualität der italienischen Eissorten von Konditor Cais hat mich immer wieder überzeugt. Im Sommer war das Eis eine willkommene Erfrischung und zu den anderen Jahreszeiten eine ebenso willkommene Abwechslung. Nicht zuletzt deswegen ist das „Eiscafé Venezia“ für mich auch eines der legendären Lokale in Marburg.

* Franz-Josef Hanke

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