„Wie eine mittelalterliche hessische Schnitzeljagd“ ist das Buch „MApentiure Hessen“. Bei einer Lesung wurden Zuhörer mitgenommen auf eine Reise zu den unterschiedlichsten literarischen Orten des Mittelalters. Sie alle befinden sich in der Nähe von Marburg.
Geschrieben wurde „MApentiure Hessen: Auf den Spuren mittelalterlicher Literatur“ von insgesamt 30 Autorinnen und Autoren. Zusammen haben sie 43 Texte verfasst.
Der Hauptverantwortliche ist Prof. Dr. Nathanael Busch, Mediävistik-Professor an der Philipps-Universität. Zusammen mit Co-Autorin Antonia Krihl stellte er das Buch in Kooperation mit dem Literaturforum Marburg am Freitag (28. Oktober) im Historischen Saal des Rathauses vor.
In dem Wort „MApentiure“ sind mehrere Begriffe versteckt, wie Busch erklärte. Darin enthalten ist die Abkürzung „MA“ für Mittelalter, und „aventiure“, das mittelhochdeutsche Wort für „Abenteuer“.
Aber auch die Worte „map“ (Englisch für „Karte“) und „App“ kann man darin entdecken. Zu dem Buch wurde nämlich in Zusammenhang mit einer dazugehörigen App entwickelt.
Das Konzept der App basiert auf einer GPS-Karte Hessens. Besucht man mittelalterliche Sehenswürdigkeiten des Bundeslands werden einem dazu Informationstexte und Tipps zur Umgebung angezeigt. Das geschieht aber nur, wenn man sich wirklich an dem Ort befindet.
Doch als Studierende Buschs die App austesten wollten, und dafür beispielsweise nach Braunfels oder Fritzlar reisten, wurden ihnen nur eine Fehlermeldung angezeigt. Derzeit wird also noch an der Funktionalität gearbeitet. „Die Kulturtechnik des Buches ist zu einer Perfektion gekommen, die die App wohl noch nicht erreicht hat“, meinte Busch dazu. Immerhin wurden von dem Buch MApentiure bereits 800 Exemplare verkauft.
„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“, zitierte Krihl den Dichter Matthias Claudius. Dass Menschen von ihrer Reise berichten möchten, ist kein Phänomen der sozialen Medien. Auch im Mittelalter wurden schon Reisen in Briefen und Reiseberichten zusammengefasst, die zu Hause mit großer Begeisterung aufgenommen wurden.
Eine beliebte Reiseroute ging beispielsweise über Rom, Venedig, Zypern, Jerusalem und Ägypten. Auf dem Weg sammelte man manchmal Ablässe oder sogar Ritterschläge, wie Krihl aus MApentiure vorlas. Aber auch Entdeckungsreisen zum „Ende der Welt“ haben einige wagemutige Abenteurer im späten Mittelalter unternommen.
Der erste Reisende, den Krihl vorstellte, war Dietrich von Schachten aus Grevenstein, der sich auf „eine fürstliche Pilgereise“ begab. In Venedig bewunderte er die Gondola-Fahrten und vor allem die Kleidung der Venezianerinnen. In Jerusalem unterlag sein Programm der strikten Planung der Franziskaner-Mönche, bei denen er und seine Reisegruppe unterkamen. Ähnlich wie eine Reisegruppe heute wurden sie von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten gescheucht, es blieb keine Zeit für individuelle Entdeckungen der heiligen Stadt.
Den Landsknecht Hans Staden aus Homberg (Efze) und Wolfhagen zog es im 16. Jahrhundert in erst kürzlich „entdeckte“ Gebiete in Brasilien. Dort wurde er von Einheimischen gefangen genommen, und fürchtete schon sein Ende durch Kannibalismus, doch konnte sich durch Einfallsreichtum befreien und davonkommen.
„Sie sehen aus wie hierzulande, nur dass sie alle braun seyen“, schrieb Stader über die Einheimischen. Außerdem merkte er an, dass sie keine Kleidung trugen und sich mit Federn behängten. Sein ausführlicher Bericht über die Flora und Fauna sowie die Einheimischen war der erste seiner Art. In Brasilien ist er heute noch bekannt.
Auch die Universitätsgeschichte Hessens wird in MApentiure aufgegriffen. „Im Historischen haben wir natürlich die Nase vorn“ sagte Busch über die Universitäten Marburg und Gießen, die bereits seit dem 16. und 17. Jahrhundert bestehen. Zu ihnen reiht sich jedoch eine weitere frühneuzeitliche Universität, die heute nicht mehr existiert.
1584 gegründet wurde die „Hohe Schule“ im mittelhessischen Kleinstädtchen Herborn. Klein ist Herborn geblieben, hatte zu Lehrzeiten aber „gigantisch viele Studenten“ aus der ganzen Welt, wie Busch erzählte.
Mit seinen modernen Methoden der Didaktik soll der Professor Jan Amos Comenius dort auch das moderne Lehrbuch erfunden haben. „Alles ist didaktisch dort“, schrieb ein Herborner Student begeistert nach Hause.
Natürlich behandelt MApentiure auch eine mittelalterliche Geschichte aus Marburg, allerdings mit einem literarischen Helden, den man hier eher weniger vermuten würde. Er nannte sich Till Eulenspiegel. Auf einer Rundreise durch Europa von einem Hof zum nächsten machte Eulenspiegel laut den 1510 verfassten Volksbuchs auch beim Landgrafen von Hessen in Marburg halt.
Er gab sich als Maler aus und wurde vom Landgrafen angeheuert, ein Familienportrait zu erstellen. Dafür bekam er Geld vom Grafen und stellte Malergesellen an, allerdings wurde keine Sekunde an einem Portrait gearbeitet.
Als der Landgraf das Portrait betrachten wollte, erklärte Eulenspiegel, dass jeder der unehelich ist, nichts darauf erkennen wird. Der Landgraf und seine Gäste standen vor der weißen Leinwand und „bewunderten“ Eulenspiegels Werk. Als eine Närrin den Betrug auffliegen ließ, war Eulenspiegel allerdings längst über alle Berge, berichtete Busch.
Mehr Geschichten wie diese zu literarischen Phänomenen in ganz Hessen werden in MApentiure aufgefasst. Der Leser begibt sich auf eine Rundreise, von Helmershausen im Norden, wo das teuerste Buch der Welt herkommt (das Evangeliar Richard des Löwen), bis nach Neckarsteinach im südlichsten Zipfel, wo ein Minnesänger leider nicht das Nibelungenlied verfasste. Ein kleinen Vorgeschmack auf diese Reise gab bereits die Buchvorstellung im Historischen Saal.
*Laura Schiller