In Hessen soll der „Lockdown“ bis Sonntag (14. Februar) dauern. Bis dahin sollten alle Verantwortlichen intelligentere Konzepte einer vorsichtigen Öffnung des sozialen Lebens vorbereiten.
Ab Samstag (23. Januar) gilt in Hessen und bundesweit beim Einkaufen und der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel eine Pflicht zur Nutzung medizinischer Masken. Derartige „FFP2-Masken“ sind teuer und eigentlich auch nur einmal nutzbar. Viele Menschen stellt diese verschärfte Maskenpflicht vor wirtschaftliche und existenzielle Sorgen.
Die Corona-Pandemie hat die Politik vor die unangenehme Wahl zwischen zwei empfindlichen Übeln gestellt: Um den drohenden Tod tausender Menschen abzuwenden, wurden Millionen ihrer Freiheit beraubt und in wirtschaftliche Nöte getrieben. Die Entscheidung zwischen „dem Teufel und Beelzebub“ kann und wird nicht ohne dauerhafte Folgen bleiben.
Eine konsequente Schließung von Restaurants, Museen und Theatern war unvermeidlich, um Menschenleben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. Allerdings hätte er bereits im Oktober beginnen können, wäre die Runde der 16 Ministerpräsidenten dem weitsichtigen Vorschlag von Bundeskanzlerin Angela Merkel gefolgt. Taktische Manöver mit Blick auf Wahlerggebnisse und faule Kompromisse zugunsten persönlicher Eitelkeiten Regierender Bürgermeister oder uneinsichtiger Kultusministerinnen schädigen das überaus sinnvolle föderale System leider erheblich.
Notwendig wäre von Anfang an eine breite Debatte im Deutschen Bundestag und den Landesparlamtenten über die Notwendigkeit der einzelnen Maßnahmen und ihre Verhältnismäßigkeit gewesen. Das hätte vor viel Verunsicherung über löchrige Beherbungsverbote oder Überreaktionen wie die anfängliche Aushebelung des Demonstrationsrechts geführt. Vor allem hätte das vielleicht auch Corona-Leugnern und sogenannten „Querdenkern“ ein wenig den Wind aus den Segeln nehmen können.
Vollmundige Ankündigung von Impfungen auf dem Messeplatz und die anschließende Landverschickung Hochbetagter ins extrem Corona-verseuchte Heuchelheim tragen auch nicht unbedingt zur Entspannung der Debatte bei. Die mangelnde Barrierefreiheit der Anmeldung zu Impfterminen zeugt auch nicht unbedingt von großem Organisationstalent der Verantwortlichen im Hinblick auf eine zielgruppenorientierte Kampagne. Aber vieles ist eben „mit heißer Nadel genäht“ und folgt nicht den gewohnten Rahmenbedingungen eines zivilierten Alltags mit vermeintlichen Sicherheiten jenseits von existenzbedrohenden Katastropehn und unvorhersehbarem Tod.
Das Cporonavirus ist ein neuer Krankheitserreger, dessen Wirkung immer noch nicht hinlänglich erforscht ist. Darum war und ist auch weiterhin wenig anderes möglich als der – oft zu Unrecht angeprangerte – „blindflug“ und das „Fahren auf Sicht“. Besserwisserei trägt nicht zur Lösung von Problemen bei, sondern nur Information und vorsichtiges Handeln.
Mittlerweile sind aber viele Menschen der Einschränkungen und der merkwürdigen Online-Beschlussrunden eines verfassungsrechtlich nicht existenten Gremiums müde, das die sinnvollen strategischen Anregungen der Bundeskanzlerin regelmäßig unterwandert und ihr dann sogar noch eine „fehlende Strategie“ vorwirft. Ihr einziger strategischer Fehler in der Bewältigung der Pandemie war bisher jedoch die mangelnde Einbindung des Deutschen Bundestags in die Entscheidungen. Jede Verlängerung der Schließung von Einrichtungen hätte besser das Parlament beschließen sollen als die uneinsichtige Runde eitler Provinzfürsten.
Selbstverständlich müssen alle Maßnahmen vor >Ort in den Kommunen umgesetzt werden. Dort müssen sie letztlich auch erklärt werden. Darum ist das föderale System der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich auch besser geeignet zur Bewältigung katastrophaler Ereignisse wie der Corona-Pandemie.
Im Vergleich zu anderen Kommunen hat die Universitätsstadt Marburg bislang eine gute Figur gemacht. Das ist eine der wenigen guten Nachrichten über die Pandemie. Mit umsichtigen Förderprogrammen und viel Bedacht hat die Stadt Kulturschaffende ebenso unterstützt wie Gastronomen und Schausteller, Geschäftsleute und alte Menschen.
Im Landkreis hingegen sieht es nur teilweise ähnlich aus. Die Unterstützung der Kultur und Geschäftswelt ist auch im Kreis durchaus angemessen; doch bei einzelnen Maßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus und vor allem bei der Berichterstattung über die Pandemie hat der Landkreis wohl eher versagt. Dabei ist die Öffentlichkeitsarbeit gerade zu Zeiten der Pandemie fast ebenso wichtig wie alle medizinischen Maßnahmen.
Doch die täglichen Infektionsmeldungen des Gesundheitsamts Marburg verharmlosen die Infektionskrankheit „Covid 19“ und vor allem ihre Folgen. Beinahe beiläufig werden jeden Tag „Todesfälle“ gemeldet, ohne dass die Opfer der Pandemie dabei in den Blick genommen würden. Bislang gab es von Landrätin Kirsten Fründt und dem Ersten Kreisbeigeordneten Marian Zachow im Rahmen dieser Pressemeldungen kein einziges öffentliches Wort des Beileids mit Angehörigen oder Erkrankten.
Sicherlich sind die Landrätin und ihr Stellvertreter mitfühlende Menschen; doch haben sie sich offenbar zuwenig Gedanken gemacht um die Seelen der Menschen im Landkreis. Tausende werden in den täglichen Corona-Statistiken als „genesen“ bezeichnet, obwohl davon viele Hundert noch lange am „Long Covid Syndrom“ leiden. „Postcorona“ ist eine langanhaltende Krankheitsfolge einer Corona-Infektion, die selbst in der Ärzteschaft noch häufig falsch eingeschätzt wird.
Die Aufführung nicht mehr infektiöser Patientinnen und Patienten unter dem Begriff „genesen“ ist ein bundesweiter Fehler; doch die mangelnden Überlegungen zu den Wirkungen von Entscheidungen zur Bewältigung der Pandemie ist auch ein lokales Problem. Sogenannte „Hamsterkäufe“ zu verbieten, ängstigt diejenigen Menschen, die sich vorsorglich Vorräte anlegen wollen, um nicht allzuoft einkaufen gehen zu müssen. Letztlich führt dieses Verbot sogar eher noch zu mehr Masseneinkäufen und Ängsten.
Wichtig für die Menschen wären während des Lockdowns auch Angebote der regionalen Kulturschaffenden über das Internet oder draußen auf der Straße. Wenn auch das Wort „Durchhalteparolen“ aus Zusammenhängen der Kriegspropaganda einen überaus unangenehmen Beigeschmack hat, benötigen die Menschen doch gerade jetzt „Streicheleinheiten für die Seele“. Dafür könnten und sollten die Kommunen ebenso Geld ausgeben wie für medizinische Maßnahmen.
Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies hat versprochen, dass in der Pandemie in Marburg „keiner alleingelassen“ werde. Dafür braucht es jetzt verstärkt kulturelle Angebote vor Ort und intelligente Öffnungsperspektiven ab Mitte Februar. Zusammen mit der allmählich anrollenden Impfkampagne wären solche Konzepte der Hoffnungsschimmer, den die gebeutelten Menschen nun fast so dringend benötigen wie einen wirksamen Impfstoff.
* Franz-Josef Hanke