Alle sind Verfassungsschützer: Mein Vortrag im „Politischen Salon“ der VHS

Kurz nach 18 Uhr komme ich an in der Volkshochschule. Zwei andere sind schon da.
„Stell Dir vor, Freiheit ist weg, und keiner hat´s gemerkt“ lautet der Titel meines Vortrags über Bürgerrechtsarbeit. Am Freitag (17. Januar) steht er im „Politischen Salon“ auf dem Programm. Der „Politische Salon“ von PD Dr. Johannes M. Becker ist die meistbesuchte Veranstaltungsreihe der VHS Marburg.
Allmählich füllt sich das Atelier der Volkshochschule. Gegen 18.15 Uhr betritt auch Johannes den Raum. Er begrüßt mich freundschaftlich.
Seit 21 Jahren leitet er die Veranstaltungsreihe über politische und gesellschaftliche Themen. Das Spektrum reicht dabei von Sozialpolitik, den Umgang mit geflüchteten Menschen, Krieg und Frieden über Psychologie, Kunst und Kultur bis hin zu Umweltschutz. Der Ausbau der Autobahn A49 soll der Lehrer Reinhard Forst beim nächsten „Salon“ am Freitag (14. Februar) beleuchten.
Schon öfters war ich Besucher bei Veranstaltungen des „Salons“. Referent bin ich hier nun allerdings zum ersten Mal.
Johannes stellt mich den gut 40 Anwesenden als politisch engagierten Menschen vor, der seine Meinung mitunter auch lautstark kundtut. Besonders hebt er hervor, dass ich 1986 auch den Verkehrsclub „VCD“ in Marburg mitgegründet habe und dessen erster Vorsitzender war. Mein Engagement im Arbeitskreis Barrierefreies Internet (AKBI) erwähnt er ebenso wie das bei der Deutschen Journalisten-Union (DJU) und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di).
Die Vorstellung endet mit lautem Applaus. Einen kurzen Moment lang bin ich verlegen, dann setze ich an zu meinem Vortrag.
„Stell Dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ war eine positive Utopie der Friedensbewegung. „Stell Dir vor, Freiheit ist weg, und keiner hat´s gemerkt“ hingegen ist eine Dystopie. Scheibchenweise werden Bürger- und Freiheitsrechte in letzter Zeit eingeschränkt unter Verweis auf Terrorismus, Kriminalität allgemein oder insbesondere auch Kinderpornografie.
Meine Furcht vor einem Überwachungsstaat muss ich diesem Publikum nicht lange erklären. Ist die Freiheit erst einmal weg, wird es zu spät sein, dafür zu kämpfen. Deswegen müssen wir jetzt handeln, forder ich unter dem Applaus der Anwesenden.
Ich weise auf die neuen Polizeigesetze in fast allen deutschen Bundesländern und die Ausweitung polizeilicher Befugnisse hin zu präventivem Eingreifen bei „drohender Gefahr“ hin. Dann erkläre ich meine Verfassungsbeschwerde gegen das „Hessische Gesetz für Sicherheit und Ordnung“ (HSOG) und das neue Hessische Verfassungsschutzgesetz (VSG). Insbesondere erläutere ich die Gefahren des Einsatzes von Trojanern und des geheimen Datenbank-Abfragetools „Palantir“.
„So still war es im Salon noch nie“, meint Johannes, als ich dabei auch auf die Rolle des V-Mann-Führers Andreas Temme eingehe. Diese Schlüsselfigur in der Mordserie des „NAtionalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) hatte auch Verbindungen zu Angeklagten im Mordverfahren zum Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Ich erwähne die Widersprüche, in die er sich verstrickt hat, ohne dass das für ihn bislang Folgengehabt hätte.
Für 130 Jahre hatte die Hessische Landesregierung die NSU-Akten gesperrt. Zwischenzeitlich wurde diese Sperrfrist zwar verkürzt; aber sie ist immer noch undemokratisch lang.
Allein diese Tatsache weist meines Erachtens auf Faktenhin, die die Öffentlichkeit nach Ansicht der Hessischen Landesregierung nicht erfahren darf. Für mich ist sie ein Beleg für eine kriminelle Verstrickung des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) in die NSU-Mordserie.
Seit 1992 fordert die Humanistische Union (HU) die Auflösung des Verfassungsschutzes. Geheimdienste seien ein Fremdkörper im demokratischen Staat. Ihre Arbeit sei nicht demokratisch kontrollierbar.
Nur ein Besucher vertritt eine gegenteilige Ansicht. Er hält den Verfassungsschutz für unverzichtbar zum Schutz vor Terrorismus und Rechtsextremismus. Ich hingegen vertrete die Forderung nach einem „Verfassungsschutz von unten“ durch die Bevölkerung.
„Wir können unsere Verantwortung für die Demokratie nicht an irgendeine dubiose Behörde wie den Verfassungsschutz delegieren“, erkläre ich. Absolute Sicherheit könne und werde es niemals geben. Behördlichen Versprechen einer angeblichen „Sicherheit“ die Demokratie und die Freiheitsrechte zu opfern, wäre fatal.
Am Ende der eineinhalbstündigen Veranstaltung fragt Johannes mich nach einem positiven Ausblick. Ich setze zu einem ggewagten Rundumschlag an.
Der Klimawandel erzwingt eine dramatische Änderung der Lebensumstände. Dafür werden politische Aktionen und eine Weiterentwicklung der Demokratie mit mehr Transparenz und weniger Einfluss von Großkonzernen unvermeidlich sein. Der Rechtspopulismus ist das letzte Aufbäumen der Beharrungskräfte und Profiteure des alten Systems vor dem unausweichlichen Wandel.
„Entweder schaffen wir alle zusammen diese Veränderung“, sage ich, „oder wir werden alle miteinander untergehen.“ Dann füge ich hinzu: „Ich bin aber überzeugt, dass wir das schaffen, denn ich bin ein unverbrüchlicher Optimist.“

* Franz-Josef Hanke

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