Neue Blickwinkel auf das Schloss vermittelte ein Workshop für Menschen mit und ohne Einschränkungen. Stattgefunden hat er am Freitag (24. Mai) im Landgrafenschloss.
Verschiedene Formen von Barrieren – aber auch spannende Ideen für lebendige Geschichte – standen im Mittelpunkt des Workshops „Wie inklusiv ist das Schloss?“, zu dem der Fachdienst Kultur der Universitätsstadt Marburg gemeinsam mit dem Museum für Kunst und Kulturgeschichte der Philipps-Universität eingeladen hatte. Mit dabei waren Menschen mit und ohne Einschränkungen, die der Frage nachgingen, wie das Schloss attraktiver werden könnte.
Eine Idee für eine mögliche zukünftige Gestaltung des Schlosses fand bei allen Anwesenden Zustimmung: es war ein großer Tisch wie der auf dem berühmten Gemälde des Marburger Religionsgesprächs von August Noack, das im Westsaal des Marburger Schlosses hängt. Doch der Tisch soll den Besuchenden dazu dienen, sich niederzulassen und miteinander zu sprechen und zu diskutieren nicht nur über Religion, sondern über alle möglichen Themen. So entstünde quasi ein „Inklusionsgespräch“.
Mit Checklisten, Audiorekordern und Polaroid-Kameras hatten die Workshop-Teilnehmenden in Zweier-Teams das Schloss und sein Museum erkundet. Für Rollifahrenden erwies sich vor allem die Zufahrt als schwierig: auf dem Kopfsteinpflaster haben sie bisher kaum eine Chance, die Auffahrt zu bewältigen.
Der Fußweg daneben ist so schmal, dass Rollstühle nur gerade eben draufpassen. An der Treppe zum Museumseingang gibt es zwar eine Rampe, diese ist jedoch nach Erfahrung der Rollifahrenden zu steil. Auch der enge Aufzug habe noch seine Tücken, wie Bernd Gökeler vom Behindertenbeirat anmerkte: „Wer vorwärts hineinfährt, kommt nicht mehr an die Aufzugknöpfe heran.“
Die sehbehinderte Teilnehmerin Wencke Gemril war noch nie im Schlossmuseum. „Dabei ist die Geschichte spannend“, findet sie. Ohne sehende Begleitung sei aber schon der Weg durch den Fürstensaal schwierig, der als einer der größten und schönsten weltlichen Säle der deutschen Gotik gilt.
Auch vor den Vitrinen stünden Blinde ratlos. Es bräuchte einen Tastplan oder eine Schablone vom Westsaal, um sich zurechtzufinden, sagte Eugen Anderer. Zumindest das Religionsgespräch zwischen Luther, Zwingli und Melanchthon sollte für Blinde beschrieben werden.
Der blinde Kunsthistoriker stand vor der Glaspyramide, die den Blick auf eine Vorgängerburg eröffnet. Am liebsten würde er die Mauerreste ertasten: „Für jemanden, der nichts sieht, ist das so nicht nachvollziehbar“, erklärte Anderer. Während des Rundgangs erklärt ihm eine Sehende die archäologische Entdeckung.
Von den Exponaten und den Themen des Museums waren die Teilnehmenden sehr angetan, wie sich in den anschließenden Arbeitsgruppen unter Leitung von Museumspädagogin Samira Idrisu und Lebenshilfe-Fachbereichsleiter Julian Pott zeigte. „Ich komme wieder“, „tolle Grundlage“ und „das ist ein zu hebender Schatz“, hieß es in den Stimmungsbildern. Und die Sehenden freuten sich, „Bekanntes“ unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Bemängelt wurden Türschwellen, Rampen, irreführende Leitsysteme und schwierige Fluchtwege. Schriften, die weiß vor gelbem Hintergrund erscheinen, sind für viele Menschen schwer lesbar, es brauche stärkere Kontraste.
Die Teilnehmenden entwickelten eine Fülle von Ideen. Zum Beispiel schlugen sie eine kleine Garderobe vor für Kinder, die sich als Ritter und Prinzessinnen verkleiden könnten oder eine Spielstation, die mit der Geschichte des Schlosses zu tun hat. Daneben gab es weitere Vorschläge wie Exponate zum Anfassen, mehr gemütliche Sofas und Gerüche des Mittelalters, wie sie das Chemikum schon einmal hergestellt hat, und die Besucher*innen mittels Gefäßen mit Duftstoffen riechen könnten. Die Schlosskapelle könnte auch als Ort vermittelt werden, in dem gesungen, gebetet und gepredigt wurde.
Wie eine Ausstellung zugänglicher für Sehbehinderte wird, zeigte bereits die gemeinsam mit dem Fachdienst Kultur der Stadt erarbeitete Präsentation zu Marburger „Stadtgeschichten“, die noch im Südsaal des Schlosses zu sehen ist. Sie enthielt Audioelemente zu allen acht Jahrhunderten von Marburgs Stadtgeschichte. Im Schloss gibt es auch QR-Codes, mit denen sich Musik aus verschiedenen Jahrhunderten aufrufen lässt.
Auf den Audioguide-Seiten der Stadt Marburg gibt es Hörstücke, die von der Geschichte der Burg über den Fürstensaal, das Religionsgespräch und die Schlosskapelle bis zur Stipendiatenanstalt, den Kasematten und den Hexenturm reichen. Zudem haben die Marburger Schlosskonzerte ein Tastmodell und ein Audioformat für den Weg zum Fürstensaal erstellt. Die Angebote sind aber zu wenig bekannt und eher Vorläufer dessen, was sich das Museum für die Zukunft vorstellt.
„Wir haben jetzt sehr viel Material und kennen die unterschiedlichsten Wünsche, die wir nun ordnen und gründlich auswerten“, fasste Museumsleiter Christoph Otterbeck zusammen. Er freut sich über die vielen inspirierenden Stimmen. Damit die Vorstellungen der zukünftigen Gäste einfließen, hat die Stadt Marburg gemeinsam mit der Philipps-Universität insgesamt sechs Workshops organisiert. Die nächste Arbeitsgruppe von Architekt*innen und Stadtplaner*innen am 6. Juni tagt intern, um auf der Grundlage von Vermessungen und Plänen unter anderem Fragen zur Erschließung des Landgrafenschlosses, zum Raumnutzungskonzept und zum Brandschutz zu diskutieren.
* pm: Stadt Marburg