Forschung Mitmachen: DFG fördert zwei Sonderforschungsbereiche

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert zwei Sonderforschungsbereiche der Philipps-Universität. Sie arbeiten an zukunftsweisender medizinischer und psychologischer Forschung für die Menschen.
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat die Einrichtung des neuen Sonderforschungsbereichs (SFB/TRR) 393 „Verlaufsformen affektiver Störungen“ sowie die Fortführung des SFB/TRR 289 „Treatment Expectations“ (Behandlungserwartungen) in einer zweiten Förderperiode bewilligt. „Dieser Erfolg unterstreicht ein weiteres Mal die Innovationskraft der Marburger Medizin und Psychologie“, betonte Universitätspräsident Prof. Dr. Thomas Nauss. „In beiden Vorhaben verbinden die beteiligten Wissenschaftler*innen wichtige Grundlagenforschung mit klinischer Anwendung für eine bessere Prävention und Behandlung von Volkskrankheiten.“
Sonderforschungsbereiche sind langfristige – auf die Dauer von bis zu zwölf Jahren angelegte – Forschungseinrichtungen der Hochschulen, in denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in fächerübergreifenden Forschungsprogrammen zusammenarbeiten. Sie ermöglichen die Bearbeitung innovativer, anspruchsvoller, aufwendiger und langfristig konzipierter Forschungsvorhaben durch Koordination und Konzentration von Personen und Ressourcen in den antragstellenden Hochschulen. Damit dienen sie der institutionellen Schwerpunkt- und Strukturbildung.
Beim SFB/TRR 393 ist die Philipps-Universität die Sprecherhochschule. Gemeinsam mit Forschenden der Technischen Universität Dresden und der Universität Münster untersuchen die Marburger die Krankheitsverläufe affektiver Störungen. Die DFG fördert das Forschungsvorhaben in den nächsten vier Jahren mit rund 15 Millionen Euro.
SFB-Sprecher Prof. Dr. Tilo Kircher ist Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Philipps-Universität. „Unsere Forschungsinitiative zielt darauf ab, die Mechanismen hinter Rückfällen und der Veränderung von Krankheitssymptomen bei Depression und Bipolarer Störung besser zu verstehen und – darauf basierend – maßgeschneiderte, effektivere Therapien zu entwickeln“, erläuterte er. „Dazu werden kontinuierlich Mobiltelefondaten sowie viele weitere biologische und klinische Parameter einer großen Patientenkohorte gesammelt und mit modernen Methoden wie maschinellem Lernen analysiert. Wenn wir den Krankheitsverlauf genauer vorhersagen können, ist es möglich, bessere Behandlungsansätze zu finden.“
Die gesellschaftliche Herausforderung durch Affektive Störungen wie Depression und bipolare Störung steigt kontinuierlich. Die Zahl der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Die Krankheiten beginnen typischerweise im Alter zwischen 16 und 30 Jahren und verlaufen sehr unterschiedlich.
Im Durchschnitt treten Episoden alle fünf Jahre für mehrere Monate auf. Sie betreffen weltweit rund jeden fünften Menschen und tragen erheblich zu verlorenen Lebensjahren bei. Neben akuten Symptomen beeinträchtigen affektive Störungen das Wohlbefinden, die psychosoziale Funktionsfähigkeit und die sozioökonomische Lage der Betroffenen über Jahrzehnte hinweg.
Die genauen Ursachen für das erneute Auftreten von Symptomen, Phasen der Besserung und Chronifizierung sind noch nicht ausreichend erforscht. Genau dabei setzt das Konsortium an und erforscht, welche umweltbedingten, psychosozialen und (neuro-)biologischen Faktoren den Krankheitsverlauf voraussagen, welche kognitiv-emotionalen und neurobiologischen Mechanismen Rückfällen und Remissionen zugrunde liegen und wie gezielte, auf diesen Mechanismen basierende therapeutische Interventionen entwickelt werden können. Dabei kommen innovative methodische Ansätze wie maschinelles Lernen und die Erhebung von Symptomen, Verhalten und anderen Faktoren anhand von Mobiltelefondaten zum Einsatz wie beispielsweise die Erstellung von Schlaf-Aktivitäts-Profilen und Symptommessungen per Smartphone.
Welche Effekte haben positive und negative Erwartungen von Patientinnen und Patienten auf den Verlauf von Erkrankungen und den Erfolg einer Behandlung. Dieser Frage widmet sich ein interdisziplinäres Team aus 26 Forschenden der Universitäten Essen, Marburg, Hamburg und Berlin im überregionalen SFB/TRR 289 „Treatment Expectations“, der in der zweiten Förderperiode rund 15 Millionen Euro Fördermittel der DFG eingeworben hat. Das übergeordnete Ziel ist die Umsetzung der gewonnenen grundlagenwissenschaftlichen Erkenntnisse in die klinische Anwendung und damit die systematische Nutzung von Erwartungseffekten im klinischen Alltag.
„Die Kooperation von Grundlagenforschung und Klinik hat sich in unserem Verbund als sehr erfolgreich erwiesen“, betonte Co-Sprecher Prof. Dr. Winfried Rief von der Philipps-Universität. Der SFB/TRR 289 verfügt über eine umfangreiche Datensammlung aus der ersten Förderperiode, die den Weg ebnet für ein tiefgreifendes Verständnis der Mechanismen und die zukünftige personalisierte Nutzung von Erwartungseffekten. „Wir werden uns in der 2. Förderphase insbesondere auf die dynamische Veränderung von Behandlungserwartungen fokussieren, Behandlungserwartungen in komplexeren Szenarien untersuchen und die Modellsysteme über den Schmerz und die Depression hinaus auf andere physiologische Systeme, wie zum Beispiel das Immunsystem erweitern“, erläuterte Sprecherin Prof. Dr. Ulrike Bingel von der Universität Essen, die das Vorhaben koordiniert.
Eine wichtige neue Entwicklung ist auch die Frage, inwieweit digitale und internetbasierte Therapien helfen können, Behandlungserwartungen und deren positiven Effekte zu optimieren. Behandlungserwartungen prägen in vielen medizinischen Bereichen zu einem wesentlichen Anteil die Behandlungserfolge oder führen zu Negativeffekten bis zum Therapieabbruch. In der ersten Förderphase wurden wichtige Erkenntnisse insbesondere für Erwartungseffekte in der Entstehung und Behandlung von Schmerzerkrankungen und depressiven Erkrankungen gewonnen.
Die Forscherinnen und Forscher haben spontan auf die Herausforderungen der COVID-19 Krise reagiert und die untersuchten Konzepte darauf angewandt, sodass Empfehlungen zum Beispiel zur Überwindung von Impfängsten abgeleitet werden konnten. In der zweiten Förderphase sollen die Indikationsgebiete von Schmerzsyndromen und affektiven Störungen (Depressionen) ausgeweitet werden auf andere, gesundheitsökonomisch hoch relevante Bereiche wie Allergien und Hauterkrankungen. Ein Fokus liegt auf der Untersuchung der Behandler-Patient-Beziehung, ihrer sprachlichen Interaktion und auf der Wahrnehmung körpereigener Prozesse. Der SFB/TRR wird in der 2. Förderphase durch ein Patient Advisory Board verstärkt, um die Entwicklung, Durchführung und Kommunikation der Forschung durch ihre Perspektive zu bereichern.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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