„Es gibt Erkrankungen, die für Pharmakonzerne nicht interessant sind“, sagte Prof. Dr. Stephan Becker. Der Marburger Virologe hielt am Dienstag (19. Mai) einen Vortrag über Wirkstoffforschung gegen Armuts-erzeugte und vernachlässigte tropische Infektionen.
Der Vortrag im Technologie- und Tagungszentrum (TTZ) vor gut 40 Zuhöreren war der zweite in der Vortragsreihe zu Globaler Gesundheit des Marburger Weltladens. Becker ist der Leiter des Instituts für Virologie der Philipps-Universität. Dort leitet er ein Biosafety Level 4 (BSL4) Labor, um an hochpathogenen Erregern wie Ebola oder dem Marburg-Virus zu forschen.
Labors dieser höchsten Sicherheitsklasse gibt es nur zwei in Deutschland. Im Marburger Labor wurde zuvor hauptsächlich Grundlagenforschung zu den Viren und Erregern betrieben.
„Dann ist mir aber sehr deutlich geworden, dass wir darüber hinausgehen müssen“, erklärte Becker. „Wir müssen im Prinzip jetzt anfangen was gegen diese Viren zu tun. Wir müssen etwas entwickeln, dass es für diese Viren entweder eine Prophylaxe oder Impfung gibt oder dass es Medikamente gibt, die gegen diese Viren dann kämpfen.“
Mit Unterstützung der Landes-Offensive für wissenschaftliche Exzellenz in Hessen (LOEWE) des Landes wurde die „DRUID“-Initiative ins Leben gerufen. „DRUID“ steht für „Novel Drug Targets against Poverty-Related and Neglected Tropical Infectious Diseases“. Der Name „DRUID“ habe sehr deutlich mit den Wissenschaftlern raisoniert, denn „was wollen wir denn anderes, als einen Zaubertrank zu entwickeln?“
Die Initiative fasse sowohl die Forschung an den Erregern als auch die Entwicklung von Wirkstoffen zusammen. Becker berichtete, dass etwa eine Milliarde Menschen in 150 Ländern an „Neglected Tropical Diseases“ (NTDs) leiden. Dazu gehören Viren, Bakterien, Pilz- und Wurmerkrankungen, Parasiten und auch Schlangenbisse.
Für viele dieser Krankheiten und Infektionen gibt bis heute wenige Wirkstoffe oder Heilmittel. Auch „unsere“ Gesundheit“ sei potenziell davon betroffen. Durch die Globalisierung gebe es keine Garantie mehr, dass Erreger aus dem globalen Süden nicht auch nach Europa kommen könnten.
Nach dem Ebola-Ausbruch in Westafrika 2014 sei das politische Interesse an NTDs gestiegen. Ebola gab es Jahrzehnte davor auch schon, aber durch die etwa 300.000 Infektionen entstand Destabilisierung in der Politik, und Massenpanik in Ländern wie den Vereinigten Staaten von Amerika (USA). „Wenn die Politik so etwas bemerkt, kommt normalerweise dann auch Geld.“
Die Initiative möchte in betroffenen Ländern Kapazitäten aufbauen, Erreger effektiv zu bekämpfen. Des Weiteren möchte sie Akademie und Forschung fördern sowie Therapie- und Diagnosemöglichkeiten erforschen. Beim Setzen von nachhaltigen Entwicklungszielen sollen NTDs in Zukunft eine Rolle spielen.
Die LOEWE-Initiative „DRUID“ ist an vier hessischen Universitäten und am Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Langen vertreten. An den Standorten in Marburg, Gießen, Frankfurt und Langen wird an Parasiten wie dem Malariaerreger, Würmer und Bakterien geforscht, sowie an Viren wie Ebola, Zika, Influenza, Dengue und den Coronaviren. Corona war schon lange vor der Pandemie ein Forschungsthema.
Auch Nachwuchswissenschaftler sollen von „DRUID“ profitieren. So werden unter anderem summer schools für Doktorandinnen und Doktoranden sowie post-docs angeboten. Des Weiteren werden post-docs aus Afrika nach Deutschland eingeladen, um sich hier einige Monate weiterzubilden.
Besonders stolz ist Becker auf die Errichtung eines „Core-Facility-Clusters“ (CFC). Es entwickelt Hemmstoffe, um Medikamente gegen Viren herstellen zu können.
Becker stellte außerdem weitere Programme vor, an denen die Wissenschaftler von „DRUID“ gerade forschen. „Das erste ist der Pflanzenstoff „Silvestrol“. Er „hat eine Wirkung gegen sehr viele verschiedene Viren“, erläuterte Becker.
Dieser Pflanzenstoff „wird benutzt in Borneo in der traditionellen Medizin; man hat aber festgestellt, er wirkt auch gegen Krebs.“ Außerdem sei er auch wirksam gegen Viren wie Ebola, Zika und Corona
Da aber der Wirkstoff so multifunktional ist, wurde schnell klar, dass er nicht den Virus angreift, sondern Wirkung auf die angegriffene Zelle hat. Ein Enzym der Zelle wird durch den Wirkstoff beeinträchtigt, das aber ein Virus benötigt, um sich zu vermehren. Die Toxizität des Wirkstoffs für die Zelle ist dabei erstaunlich klein.
Außerdem wird seit mehreren Jahren verstärkt an Malaria geforscht. Durch den Klimawandel wird es wohl auch in Europa teilweise warm genug für die Erreger werden.
Jährlich gibt es etwa 230 Millionen Malaria-Fälle, wovon durchschnittlich etwa 409.000 Menschen sterben. 67 Prozent davon sind Kinder unter fünf Jahren.
Obwohl es Medikamente gegen Malaria gibt, entwickeln sich schnell Resistenzen dagegen. „DRUID“ hat deswegen eine neue Wirkstoffklasse gegen Malaria und andere Parasiten entwickelt, die zurzeit in präklinischen Tests Erfolge zeigt. „Wir wissen noch nicht genau, wo das Wirkstoffziel ist, aber wir wissen, dass das Immunsystem unter Zuhilfenahme dieses Wirkstoffs, dieser Arylmethylamino Steroide, diese Erreger deutlich besser bekämpfen kann“, erklärte Becker.
Becker warnte sogenannten „Tropenkrankheiten“ nicht die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Letztlich könnten diese Erreger auch nach Europa kommen.
*Laura Schiller
Pingback: Bildung 2022: Ein Virus und erfolgreiche Wissenschaft – marburg.news