Die Plakataktion „RotlichtAus“ startet am Freitag (4. August) beim Oberstadtaufzug am Pilgrimstein. Die Marburger Bürgerinitiative „bi-gegen-bordell“ ist Unterstützerin dieser bundesweiten Kampagne.
Seit mittlerweile zwölf Jahren kämpft sie mit zahlreichen Aufklärungsveranstaltungen in Marburg gegen die menschenverachtenden Zustände in der deutschen Prostitutionsszene. BI-Sprecherin Inge Hauschildt-Schön kündigte am Mittwoch (2. August) die neue Plakataktion gegen Sexkauf und Gleichgültigkeit an.
Das Bundesgesetz zur Prostitution von 2002 habe entscheidend mit dazu beigetragen, dass Deutschland das Bordell Europas geworden sei. Prostitution ist demnach nicht mehr sittenwidrig, sondern legal.
Bordellbetreiber können überall und fast ohne Auflagen Bordelle und Laufhäuser eröffnen. Sie fungieren als harmlose Geschäftsleute. Offiziell vermieten sie nur Zimmer an Frauen, die angeblich freiwillig der Prostitution nachgehen.
90 bis 95 Prozent der Frauen sind laut Hauschildt-Schön aber osteuropäische Armutsprostituierte. Sie kommen zur Zeit weitgehend aus Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Die Mehrzahl werde von männlichen Familienangehörigen oder von sogenannten „Loverboys“, die ihnen Liebe vortäuschen, nach Deutschland verbracht.
Die Nachfrage der Sexkäufer nehme weiterhin zu. Sie verlangten immer stärker nach sehr jungen Frauen, im Milieu „Frischfleisch“ genannt.
Die Frauen wissen laut Hauschildt-Schön oftmals gar nicht, in welcher Stadt sie sich befinden. Sie sind bildungsfern und unter patriarchalen Verhältnissen aufgewachsen. Viele sprechen kein Deutsch und sind somit hilflos den Sexkäufern und Zuhältern ausgeliefert.
Die Miete in den Bordellen und Laufhäusern betrage 120 bis 160 Euro pro Tag. Die Frauen würden in der Regel am Ende jeder Nacht von ihren „Besitzern“ abkassiert.
Sie müssten fünf bis sieben Freier bedienen, um überhaupt nach Abzug der täglich fälligen Miete einen kleinen Betrag für sich zu behalten, falls ihnen das überhaupt gelingt. Gelingt es nicht, sind sie in der Schuldenfalle.
Das alles sei bekannt, erklärte Hauschildt-Schön. Das neue – am 1. Juli 2017 in Kraft getretene – Prostituiertenschutzgesetz sollte zumindest einen Teil dieser Mißstände beseitigen. Die vorgesehenen Neuregelungen sind allerdings nach Ansicht zahlreicher Gegnerinnen und Gegner des Gesetzes völlig unzureichend.
Andere hingegen kritisieren die massiven Eingriffe des Gesetzes in die Grundrechte von Frauen, die als Prostituierte gelten. Außerdem greift das Gesetz auch massiv in die Grundrechte von Männern ein, die Umgang mit diesen Frauen haben. Insbesondere Datenschutz und Freiheitsrechte seien in Gefahr aufgrund aktionistischer Maßnahmen zum vorgeblichen Schutz vermeintlicher Prostituierter.
Dagegen bedauern Fachleute aus Sozialarbeit, Polizei, Justiz, Politik, Verwaltungen sowie GynäkologInnen und TraumapsychologInnen, dass sich die Berliner Politikerinnen und Politiker noch nicht einmal zur Erhöhung des Schutzalters für Prostituierte von 18 auf 21 Jahre entschließen konnten. Gerade die sehr jungen Frauen seien von einem Tag auf den anderen den immer härter und perverser werdenden Forderungen der Freier ausgeliefert.
Doch Prostitution ist gesellschaftlich anerkannt; ein Bordellbesuch gehört auch zum organisierten Abendprogramm vieler Tagungen oder Fortbildungsveranstaltungen von Firmen und Versicherungen. Junggesellenabschiede und Abi-Abschlussfeiern finden in Bordellen statt.
Nach Einschätzung von Hauschildt-Schön werden die Freier immer jünger. Alle lernten: „Frauen sind Ware, die man zu niedrigen Preisen kaufen und benutzen kann, wie man will.“
Die Politik reagiere halbherzig, während der Widerstand aus der Zivilgesellschaft wachse, erklärte die BI-Sprecherin. Vor diesem Hintergrund sei auch die Kampagne „RotlichtAus“ des Landesfrauenrats Baden-Württemberg und des Vereins „Sisters“ zu sehen.
SISTERS startete die Kampagne „RotlichtAus: Gegen Sexkauf und Gleichgültigkeit!“ Die Marburger Bürgerinitiative bi-gegen-bordell ist mit Sisters vernetzt und unterstützt die gemeinsame Kampagne mit ihrer Plakataktion.
Die Marburger Bürgerinitiative bi-gegen-bordell bedankt sich für die Unterstützung der Aktion „RotlichtAus“ durch die Universitätsstadt Marburg und vor allem auch durch das Gleichstellungsreferat der Stadt. Ab Freitag (4. August) informiert ein Aushang am Oberstadtaufzug über die Kampagne.
Sie wird von Freitag (22. September) bis Dienstag (3.Oktober) mit einer weiteren Plakataktion fortgesetzt. Am Samstag (30. September) ist dazu eine Veranstaltung mit den Sisters-Vorstandsmitgliedern Sabine Constabel und Leni Breymaier geplant.
Constabel ist Sozialarbeiterin. Sie arbeitet seit 25 Jahren mit Prostituierten und Aussteigerinnen, macht Öffentlichkeitsarbeit und berät die Politik.
Breymaier ist Gewerkschafterin und SPD-Vorsitzende in Baden-Württemberg. Sie ist seit vielen Jahren frauen- und sozialpolitisch aktiv.
* pm: BI-gegen-Bordell Marburg