Die Heizung ist voll aufgedreht. Der Heizkörper ist nur lauwarm.
Am Morgen war es noch wohlig warm gewesen in meinem Zimmer. Nun aber sind alle Heizkörper in meiner Wohnung kalt. Ich drehe sie alle bis zum Anschlag auf und warte.
Doch die gerippten Heizkörper bleiben kühl. Am Abend kuschele ich mich fest in meine Bettdecke ein. Irgendwann am Samstagnachmittag muss die Heizung ausgefallen sein.
Auch am Sonntagmorgen bleibt es in meiner Wohnung kalt. So schreibe ich eine Mail an meinen Nachbarn und frage ihn, ob auch seine Wohnung kalt und die Heizanlage im ganzen Haus ausgefallen ist. Als ich am Nachmittag noch keine Antwort auf meine Mail habe, rufe ich einen anderen Nachbarn an.
Aufgrund der nächtlichen Minustemperaturen friert er ebenso wie ich. Außerdem berichtet er mir, dass am Samstag schon der Notdienst der Heizungsbaufirma gekommen sei. Der Installateur habe jedoch nichts ausrichten können und wolle am Montag wiederkommen.
Auch am Montag verlässt der Heizungsinstallateur unser Haus unverrichteteter Dinge. Er müsse ein Ersatzteil besorgen und einbauen, schreibt der andere Nachbar in seiner Antwort auf meine Mail.
In dicken Klamotten kuschele ich mich abends angesichts weiter sinkender Nachttemperaturen in meine dicke Decke ein. Die Räume der Wohnung sind inzwischen schon ziemlich ausgekühlt. Ich wärme mich an meiner Wärmflasche auf, die ich extra neu gekauft habe.
Am Dienstag kommt der Installateur wieder. Doch es gelingt ihm nicht, die Heizung mit dem angeforderten Ersatzteil zum Laufen zu bringen. Am Mittwoch soll nun ein Techniker der Herstellerfirma kommen.
In meinen dicken Klamotten, die ich vorher mit der Wärmflasche angewärmt habe, kuschele ich mich mit der aufgeheizten Gummiflasche in meine dicke Bettdecke ein. Ich denke an die Wohnung meines Großvaters Josef Esser in Rheinbach gegenüber vom heutigen Glasmuseum. Bis Ende der 60er Jahre gab es dort nur einen einzigen beheizten Raum.
Zwei oder dreimal habe ich im Winter dort übernachtet. Abends legte meine Tante Steine auf den Kohleherd in der behaglich beheizten Wohnküche. Eine Stunde vor dem Zu-Bett-Gehen brachten meine Onkel die heißen Steine dann in ihre Betten und legten sie dort unter ihr Federbett.
Morgens fand man Eisblumen an den Fensterscheiben. Es kostete jedoch eine große Überwindung, überhaupt aufzustehen aus dem behaglichen Bett und sich im kalten Zimmer umzuziehen. Noch unangenehmer war der Gang zum Klo, der sich draußen im Hof neben einer Wasserpumpe mit Schwengel befand.
Ungefähr so wie damals komme ich mir nun auch wieder vor mit meiner wärmflasche und der dicken Jogginghose unter meinem Plümo. Ich denke an die Geflüchteten im winterlichen Wald an der Grenze zwischen Belarus und Polen. Erfrieren werde ich in der unbeheizten Wohnung wahrscheinlich nicht.
Am Mittwochmittag wird es dann allmählich warm im Haus. Der angeforderte Heizungsinstallateur hat den Heizkessel repariert. Misstrauisch drehe ich schnell alle Heizventile bis zum Anschlag auf.
Erst am Donnerstag traue ich mich, die nun wieder aufgewärmten Räume nacheinander zu lüften. Jeder Raum ist erst dann an der Reihe, wenn im durchlüfteten Zimmer wieder die Heizung läuft. Meine Wärmflasche packe ich nun in den Schrank.
Die Gaspreise steigen. Manche Menschen müssten sich angesichts der hohen Heizkosten entscheiden, ob sie ihr Geld für Essen ausgeben oder für Wärme in ihrer Wohnung. Ein kalter Schauder fährt mir in die Knochen.
Mich berührt der Gedanken an Fjodor Michailowitsch Dostojewski, der vor 100 Jahren geboren wurde. In „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus“ berichtet der russische Schriftsteller von seiner Verbannung nach Sibirien. Erst vor wenigen Wochen habe ich „Der Spieler“ sowie unmittelbar danach seinen Psycho-Krimi „Schuld und Sühne“ gelesen.
Was haben Menschen nicht schon alles durchmachen müssen? was wird wohl noch auf sie zukommen? Geht die Menschheit verantwortlich miteinander um oder vergeht sie sich an den Rechten derjenigen, die sie von der Teilhabe an Macht, Gütern und Geld – mitunter auch mit Gewalt – ausschließt?
Der Klimawandel wird die Erde eher erheblich erwärmen als Kälte mitbringen. Dennoch wurde mir in den fünf unbeheizten Tagen in meiner Marburger Wohnung klar, wie abhängig die Menschen vom Klima und Wetter sind. Der Größenwahn von Machbarkeit und den göttlichen „Märkten“, die angeblich „alles richten“, wird die Menschheit möglicherweise ins Verderben führen, wenn sie in Glasgow und weltweit nicht sofort noch die Kurve kriegt.
* Franz-Josef Hanke