Erhebliche Folgen: Verändert die Digitalisierung das Menschenbild?

„Verändert die Digitalisierung unser Menschenbild?“ Anthropologischen und juristischen Fragen der Digitalisierung widmen sich der Fachbereich Theologie der Philipps Universität und der Fachbereich Wirtschaft der FH Bielefeld.
Die Digitalisierung dringt in alle Lebensbereiche vor. Immer früher müssen Menschen den kompetenten und souveränen Umgang mit digitaler Technik erlernen. Doch dabei sind nicht nur technische Fragen relevant; auch ethische, rechtliche und soziale Aspekte sollten mitgedacht werden.
Hier setzt ein Konsortium aus neun Hochschulen und Instituten an: In dem integrativen, inter- und transdisziplinären Projekt „Integrierte Forschung“ sollen Forschungsansätze verschiedener Fachgebiete integriert, Kompetenzen vermittelt und Impulse gesetzt werden.
Die Philipps-Universität ist mit dem Teilprojekt „Souveränität in digitalisierten Lebenswelten“ (SoDiLe) beteiligt, das der Fachbereich Theologie gemeinsam mit dem Fachbereich Wirtschaft der Fachhochschule Bielefeld in den kommenden drei Jahren umsetzt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das Gesamtprojekt „Integrierte Forschung“ im Rahmen der Hightech-Strategie mit 2,7 Millionen Euro, davon gehen knapp 160.000 Euro nach Marburg.
Intelligente Zahnbürsten schlagen Alarm wenn wir nicht korrekt putzen und Staubsaugerroboter saugen während wir im Büro sind – digitale, intelligente Systeme, die Abläufe in unserem Alltag erleichtern oder automatisieren sollen, sind nicht mehr bloße Zukunftsvision von Hightech-Unternehmen. „Wir geben viele Informationen über uns, Aufgaben und Strategien zur Lösungsfindung aus der Hand; – und es gibt kaum noch Lebensbereiche, die von der Digitalisierung unberührt bleiben“, stellte Prof. Dr. Marcell Saß fest.
Gemeinsam mit Prof. Dr. Axel Benning von der Fachhochschule Bielefeld wird er das Teilprojekt „SoDiLe“ umsetzen. Die zentralen Fragen dabei sind: Was macht das mit uns Menschen und unserem Selbstbild, als Mensch und als Individuum? Welche Souveränität haben wir in der Mensch-Technik-Interaktion?
„Souveränität bedeutet, dass ein Mensch als Individuum im Rahmen von Mensch-Technik-Interaktionen selbst bestimmen und entscheiden können soll, wie viel von seiner Person er der Technik preisgibt““ erklärte Saß. Voraussetzung für souveränes Handeln sind eindeutige Vorstellungen des Selbst, reflektierte Konzepte von Person und Persönlichkeit sowie Vorstellungen von Individualität – wie sie allesamt in (neu-humanistischen) Bildungskonzepten nach wie vor eine entscheidende Rolle spielen.
„Nun ist aber zu vermuten, dass neu entstehende Mensch-Technik-Interaktionen Folgen für das Menschenbild haben“, erläuterte Saß. „Es gilt, diese sowohl aus Sicht von Individuen als auch in struktureller Technik-Perspektive zu rekonstruieren.“
In digitalisierten Lebenswelten mit Künstlicher Intelligenz und Big Data sei damit zu rechnen, dass die Möglichkeit des Einzelnen, sich souverän zu verhalten, anders sein wird als bislang angenommen. „Neue Technologien beinhalten auch stets eine Vielzahl von juristischen Problemstellungen, die bei der Entwicklung von derartigen Projekten von Anbeginn an mitgedacht werden müssen“, , warnte Benning. „Zu diesen juristischen Fragestellungen gehören Aspekte des Persönlichkeits- und Datenschutzrechts wie zum Beispiel das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sowie Begutachtung datenschutzrechtliche Aspekte.“
Um ein tieferes Verständnis von gegenwärtigen Selbstkonzepten digitaler Souveränität zu erlangen, wird Saß unter anderem eine qualitativ-rekonstruktive Studie im Bereich von „Digital Natives“ durchführen. Im weiteren Verlauf des Projekts sollen unter anderem Kompetenzmodelle entwickelt und in der Hochschullehre erprobt werden. Geplant sind disziplin- und hochschulübergreifende, experimentelle Lehrveranstaltungen in den Studiengängen Theologie und dem Lehramtsstudium sowie weiteren Bachelor-Studiengängen der Philipps-Universität.
Die Studiengänge Betriebswirtschaftslehre, Wirtschaftsrecht, Wirtschaftspsychologie, Wirtschaftsinformatik, Pflege und Gesundheit, Ingenieurwissenschaften und Mathematik werden von Seiten der Fachhochschule Bielefeld dabei sein. In unterschiedlichen Gruppen sollen die Studierenden grundlegende Fragestellungen des Projekts SoDiLe bearbeiten, Perspektiven wechseln und eigene blinde Flecken identifizieren.
Die dabei gewonnenen Impulse, neuen Perspektiven und kritischen Rückmeldungen zum Selbstkonzept der „Digital Natives“ sollen in die weitere Arbeit des Gesamtkonsortiums einfließen.Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht unter anderem eine internationale Tagung zum Thema „Constructions of The Self – Digital Sovereignty in Law and Education“.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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