Retour zur Reformationszeit: Vier Tage lang 500 Jahre zurück

Eine Zeitreise ins Marburg vor 500 Jahren können Interessierte bis Sonntag (18. Juni) unternehmen. Mit der Einweihung der „Zwingli-Treppe“ hat Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach die Veranstaltung am Donnerstag (15. Juni) eröffnet.
Unter dem Titel „Zeitreise – Stadterlebnis Reformation“ bieten die Lutherische Pfarrkirche und der Fachdienst Kultur der Universitätsstadt Marburg vier Tage lang ein buntes Programm zum Reformationsjahr 2017. Zur Eröffnung waren Gäste aus der Lutherstadt Eisenach und der Zwingli-Stadt Zürich gekommen. Aufführungen historischer Begebenheiten als Straßentheater gehören ebenso zu den Leckerbissen wie eine „Armenspeisung“, der Ausschank von „Reformationsbier“ oder eine „Stinkstation“ mit Gerüchen der Reformationszeit.
Die Bedeutung Marburgs für die Reformierten in der Schweiz sei sehr groß, erklärte Pfarrer Roland Wuillemin aus Zürich. Umso wichtiger sei nun die Benennung einer Treppe gleich neben der Lutherischen Pfarrkirche nach dem Schweizer Reformator Ulrich Zwingli. Seine vorherige Begrüßung auf „Schwyzer Dütsch“ sei für viele Anwesende wohl kaum weniger unverständlich gewesen als Türkisch, meinte er augenzwinkernd in einem Dialekt, den er „Hochdeutsch“ nannte.
Im Jahr 1529 war Zwingli trotz erheblicher Bedenken der Einladung des Hessischen Landgrafen Philipp nach Marburg gefolgt. Beim „Marburger Religionsgespräch“ konnte er sich jedoch trotz der Vermittlung Philipps des Großmütigen nicht mit Martin Luther einigen.
Während die theologischen Fragen in lateinischer Sprache abgehandelt wurden, predigte Zwingli in Marburg auf Schwyzer Dütsch. Seine Predigt hat Luther nach Einschätzung des evangelischen Dekans Burkhard zur Nieden allerdings wohl missverstanden.
Zwingli warnte vor „roten Kappen“, die die Menschen in den Krieg treiben. Luther meinte, es handele sich dabei um die Schweizer Armee und deren Uniformen, wohingegen Zwingli dabei auf Kardinalshüte anspielte und sich gegen einen militaristischen Kardinal wandte.
Neben solch merkwürdigen Begebenheiten kam auch die Marburger Stadtgeschichte zu ihrem Recht: Eine Theatergruppe erklärte, warum der „Pfeffersack“ Schwan sein Anwesen außerhalb der Stadtmauern errichtete, um Steuern zu sparen. Noch heute nennt sich das Areal „Schwanhof“.
In historischen Kostümen sorgte die Gruppe „Fünf Schneeballen“ für Unterhaltung. Mit Trommelwirbeln und Flötenmusik begleitete sie die Eröffnungszeremonie.
Danach wurde vor dem Kirchenportal eine lange Tafel zur „Armenspeisung“ aufgebaut. 150 Portionen Essen nach Rezepten aus der Reformationszeit waren angerichtet. Die Zahl der Anwesenden überstieg diese Größenordnugn jedoch deutlich.
Studierende vom Chemikum Marburg hatten ein Stück oberhalb des Kirchhofs eine „Stinkstation“ eingerichtet. Den Besuchern reichten sie Dosen, die spezifische Gerüche der Reformationszeit verströmten.
Während Buttersäure eine eher berüchtigte Duftnote verströmt, war das verbrannte Horn besonders interessant. Dieser Duft erinnerte an den Geruch, den Pferdehufen auf Pflastersteinen auch noch in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts verströmten. Nicht aus Luthers Zeit datiert das Aroma von Kaffee, mit dem der Chemiker aber zum Schluss der olfaktorischen Zeitreise alle vorherigen Gerüche neutralisieren konnte.
Eine Ausstellung im „Teehäuschen“ präsentiert die Medizin zur Zeit Luthers und Zwinglis. Lepra und Pest waren damals bittere Realität in europäischen Städten. Gottesfurcht und die Angst vor dem Teufel waren daher auch Ausdruck fehlender Kenntnisse über Hygiene.
Für Sonntag (18. Juni) plant die Pfarrkirche einen Gottesdienst, der die Gläubigen ins Jahr 1605 zurückversetzt. Ausklingen wird die Zeitreise dort am Sonntagabend um 18 Uhr mit einem Weltmusik-Oratorium, das Jean Kleeb eigens für das Reformationsjahr komponiert hat.

* Franz-Josef Hanke

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