Ab jetzt zusammen: Bergarbeiter, Schwule und Lesben, Musik und Jubel

Was haben ergarbeiter mit Lesben und Schwulen zu tun? Auf vergnügliche Weise beantwortet das Hessische Landestheater Marburg (HLTM) diese Frage in seinem neuesten Stück.
„AB JETZT ZUSAMMEN!“ heißt die „Komödie mit Musik über die Zugehörigkeit zur Unzugehörigkeit“. Die Uraufführung hat die Intendantin Carola Unser inszeniert. Gemeinsam mit Lotta Seifert hat sie frei nach einer Wahren Begebenheit im Jahr 1984 auch den Text geschrieben.
Im vollbesetzten Erwin-Piscator-Haus (EPH) feierte die spritzige Geschichte über das Aufeinanderprallen zweiter Welten am Samstag (15. Februar) Premiere. Viel Musik machte die Inszenierung zu einer kurzweiligen Revue mit Humor, Satire und gelegentlichem Tiefgang. Bekannte Pop-Songs der 80er Jahre boten die dreiköpfige Band, der achtköpfige Chor und die Schauspieler ebenso dar wie die bekannten Arbeiterlieder „Brot und Rosen“ oder „Bella Ciao“.
Die Handlung beginnt in dem kleinen walisischen Ort Dulais. Die Bergarbeiter streiken. Allmählich geht ihnen und ihren Familien das Geld aus.
Polizisten prügeln ihre streikenden Nachbarn oder sperren sie ins Gefängnis. Familien zerstreiten sich angesichts der vernichtenden Propaganda der Premierministerin Margret Thatcher gegen die Streiks. Angesichts des drohenden Hungers geben immer mehr Bergarbeiter ihren Widerstand auf und laufen zu den Streikbrechern über.
Da list Paula in einem Szene-Magazin für Homosexuelle, dass sich in Londoneine Initiative von Lesben und Schwulen zur Unterstützung von Bergarbeitern gebildet hat. Trotz massiver Ressentiments bleibt den Bergarbeitern keine andere Wahl, als die Hilfe der „Schwuchteln“ anzunehmen. Mit vielen Vorbehalten bewegen sich die traditionsbewussten Bergarbeiter aus der konservativ geprägten Provinz auf die großstädtisch geprägten Schwulen und Lesben zu.
Mit viel Witz und überspitzter Satire zeichnet die Inszenierung diesen „Clash of Cultures“ nach. Vor allem der Streikführer Colin hat heftige Vorurteile gegen Schwule. Dabei ist seine eigene Tochter selbst eine Lesbe.
In der Pause kritisierte eine Theaterbesucherin die Charaktere als „überzeichnet“ in „überkommenen Stereotypen“. Ein Schwulen-Aktivist empfand jedoch gerade die satirische Zuspitzung als hilfreich für eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Thema. Auch im Jahr 2020 treffe er immer noch auf Ressentiments und Klischees, die das Theaterstück auf erfrischende Weise zur Auseinandersetzung anbiete.
Satire darf nicht nur überspitzen; sie muss es mitunter sogar. Darum sind auch die Schwulen in „Ab jetzt zusammen!“ durchaus keine Abziehbilder, sondern ein Kristallisationsobjekt für ein – möglicherweise noch nicht vorurteilsfreies – Publikum.
Gerade die Konfrontation der „klassischen Arbeiterbeweung“ mit der kreativen“Gay-Szene“ bietet viele Anreize für diese Auseinandersetzung. In ihrer Inszenierung hat Unser dieses „Setting“ zu einem erfrischenden Sturm in die Denkwelten bürgerlich geprägter Mitmenschen ausgestaltet.
Sehr toll haben sie dabei die Musiker Sven Demandt, Christian Keul und Burkhard Mayer sowie der Chor unterstützt. Als Winnie hat Saskia Boden-Dilling und als ihre Schwester Paula ganz besonders Lisa Grosche überzeugt. Ebenso brillierte Jürgen Helmut Keuchel als sturer Arbeiterführer Colin.
Aber auch alle anderen Darsteller haben ihre Rollen grandios ausgefüllt. So hatte der Kuss zweier Männer auf der Bühnenichts Bloßstellendes oder witziges, sondern wirkte befreiend und ermutigend. Jubel und sehr lang anhaltender Applaus am Ende der Premiere waren der berechtigte Dank eines begeisterten Publikums für 140 Minuten kurzweilige Aufklärungüber Kapitalismus, Neoliberalismus und menschenverachtende Propaganda einerseits sowie revolutionären Mut und die Notwendigkeit freien und kreativen Denkens andererseits.

* Franz-Josef Hanke

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