Ich bin ein alter weißer Mann. Darum sollte ich wohl besser den Mund halten.
Die „alten weißen Männer“ sind für viele zum Feindbild mutiert. Sie gelten als Inbegriff reaktionärer Einstellungen und rückwärtsgewandten Starrsinns. Wer mit der Mode geht, ist jung, weiblich oder queer und vor allem „woke“.
Wenn ich mich an meine Jugend erinnere, dann finde ich da vieles, was ich mir heute wünsche: „Solidarität“ war selbstverständlich und noch nicht aus dem Sprachschatz verbannt. „Gemeinsinn“ war ein weiteres Wort, was der neoliberale Zeitgeist auch längst durch fragwürdige Werte wie „Leistung“ und „Selbstverantwortung“ verdrängt hat. Die „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“ steht zwar immer noch im Grundgesetz, doch die steigende Zahl immer reicher werdender Milliardäre straft die Verfassung leider längst Lügen.
Wenn ich die steigende Flut problematischer Binnen-Sonderzeichen mitten im Wort kritisiere, ernte ich Prügel. Wenn ich unnötige Anglismen in vielen Texten anprangere, halten manche mich für einen Reaktionär. Ich bin eben „ein Mann von gestern“ und längst nicht mehr auf der Höhe der Zeit.
Eine Zeit, die Sündenböcke sucht und beschimpft, ist für mich wirklich die Höhe. Wer zu Recht Homophobie und die Benachteiligung von Frauen kritisiert, der sollte seine Agenda besser nicht auf Kampfmaßnahmen aufbauer, die andere ausgrenzen. Wer Sternchen mitten im Wort zur allein selig machenden Schreibweise erhebt und alle abkanzelt, die sich damit schwertun, muss nicht mit einer Sprachausgabe am Computer arbeiten, weil er blind ist wie ich.
Ich bin blind. Das heißt für einige wohl, dass ich die wesentlichen Dinge nicht sehe. „Mach die Augen auf, damit Du die wahrhaft wichtigen Dinge sehen kannst!“
Tatsächlich haben wir alle gemeinsam viele Fortschritte errungen in den vergangenen 40 Jahren. Rückschritte hat es in dieser Zeit leider aber auch gegeben. Ein wirklicher Fortschritt wäre nun, wenn wir alle die Demokratie gemeinsam gegen Rassismus und Rechtspopulismus verteidigen anstatt andere wegen ihres Alters oder Geschlechts und ihrer Rechtschreibpraxis abzuwerten.