Vier Kollektivbetriebe aus Marburg haben sich bei einem bundesweiten Treffen mit Kollektivbetrieben aus ganz Deutschland vernetzt. Dabei wurde ein Dachverband zur gegenseitigen Unterstützung gegründet.
Auf dem bundesweiten Kollektive-Netzwerktreffen von 56 selbstverwalteten Betrieben, Projekten und nitiativen machten sich jüngst 100 Menschen auf den Weg, sich nun verbandsmäßig als überregionales deutschlandweites Kollektiv zu organisieren. Das Treffen fand von Donnerstag (30. Mai) bis Sonntag (2. Juni) beim Kommune-Kollektiv „Lebensbogen“ in Kaufungen bei Kassel statt. Als juristischer Träger wurde der Verein „Kollektiv der Kollektive“ bereits Anfang des Jahres gegründet. Dessen erste Vollversammlung fand bereits während der Tagung statt.
Das Netzwerk ist angetreten, der Demokratiefeindlichkeit in den Betrieben den Garaus zu machen. Immer mehr Beschäftigte wollen nicht nur mehr Brötchen, sondern die ganze Bäckerei. Dass das realiter möglich ist, zeigen die vertretenen selbstverwalteten Betriebe, die teils schon jahrzehntelang bestehen.
Demokratie bedeutet hier, dass alle über die Produktionsmittel und Gebäude verfügen. Die Mitarbeitenden wirken und werken auf gleicher Augenhöhe miteinander, sie entscheiden unter anderem selbst über ihre Arbeitszeiten, ihre Arbeitsbedingungen und wie viel Lohn oder Gehalt sie sich auszahlen.
Die Rahmenbedingungen der betrieblichen Kollektive sind oft schwierig, da Politikerinnen und Politiker zwar gerne das Jubiläum von 75 Jahren Grundgesetz feiern, nicht aber Demokratie in der Arbeitswelt fördern. So nimmt das Netzwerk das nun – nach Kräften – selbst in die Hand. Unterteilt in interkollektiven Kleingruppen packen die Teilnehmenden es nun selbst an, eine gegenseitige Beratung und Unterstützung zu organisieren und sich überhaupt diverses Fachwissen anzueignen.
Mit gegenseitigen Besuchen in ihren Kollektiven wollen sie sich besser kennenlernen. Um die Sachzwänge von Marktwirtschaft zu mindern, streben sie einen Solidaritäts- und Ressourcenfonds an oder loten aus, wie Kollektivmitgliedern in preiswerten Dienstwohnungen wohnen könnten. Sie feilen an ihrem Selbstverständnis und an mittel- und langfristigen Schritten hin zu dem großen Ziel, mit vielen anderen die konkurrierende marktwirtschaftliche Ökonomie gänzlich in ein selbstorganisiertes solidarisches Wirtschaften zu wandeln.
Als Vernetzungsplattform wird eine Cloud samt IT-Werkzeugen aufgebaut. Die zur Tagung gekommenen Kollektive wollen ihren Kreis erweitern. Dazu sind Website, Flyer und Plakate in Arbeit. Die „Willkommens-AG“ freut sich auf viele Anfragen.
Die Bewegung für eine selbstorganisierte Arbeitswelt besteht auch international. An der Tagung in Kaufungen nahmen Mayra und Erick von „Cecosesola“ – der großen Genossenschaft aus Barquisimeto in Venezuela –
teil. Ihr langjähriges Projekt erhielt 2022 den Alternativen Nobelpreis. Sie gaben viele Einblicke in ihren vielfältigen – oft gar nicht einfachen – Alltag unter Inflationsbedingungen.
In Aufbruchstimmung verabredeten sich die Kollektivist*innen für 2025 wieder für ein weiteres großes „Kollektive-Vernetzungstreffen“. Eine Vorbereitungsgruppe hat sich bereits gebildet. Mehr Informationen zu den in Marburg ansässigen kollektiv organisierten Betrieben gibt es unter radau-marburg.de/ , unter www.onkelemma-marburg.de/ und gaertnereipetersilie.de/solawi-petersilie/ sowie punkt-marburg.de/.
* pm: Kollektiv der Kollektive