Ein Forschungsteam knüpft ein Datennetz der Artenvielfalt. Dabei überwachen die Arten sich letztlich selbst.
Eine Forschungsgruppe um den Marburger Geographen Dr. Dirk Zeuss hat ein neuartiges Konzept zur vernetzten Umweltbeobachtung vorgeschlagen, mit dem sich weite Naturräume über lange Zeit abbilden lassen, ohne dass die Detailgenauigkeit verlorengeht. Das vierzigköpfige Team nutzt unter anderem Tiere und Pflanzen als Träger von Messgeräten und Kameras, um Daten aus natürlichen Lebensräumen zu gewinnen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler berichten im Fachblatt „Global Change Biology“ über ihre Ergebnisse.
Fachleute warnen seit langem: Im medialen Schatten des Klimawandels vollzieht sich ein einschneidendes Artensterben, das auch die Ökosysteme als Ganzes und deren Leistungen gefährdet. Um sinnvoll gegenzusteuern, benötigt man Daten über den Artenbestand und dessen Veränderung. „Dabei geht bislang die Detailgenauigkeit auf Kosten des zeitlichen und räumlichen Umfangs und umgekehrt“, erklärte der Umweltinformatiker Dr. Dirk Zeuss von der Philipps-Universität, der als Erstautor der vorliegenden Studie firmiert.
So geben Satellitendaten unter anderem Auskunft über die Pflanzendecke und deren jahreszeitliche Veränderung, jedoch nicht über die Arten, aus denen sich die Vegetation zusammensetzt. Um natürliche Lebensräume als Systeme verstehen zu können, wird ein dauerhaftes Monitoring benötigt, das Informationen zu Artenvielfalt, Ökosystemleistungen und Umweltbedingungen in der Fläche liefert.
Hier setzt das Projekt „Natur 4.0“ an, das in Marburg angesiedelt ist und Fördergeld aus dem „LOEWE“-Programm des Landes Hessen erhalten hat. „Das interdisziplinäre Projekt kombiniert Beobachtungen von Fachleuten mit vernetzten Fernerkundungs- und Umweltsensoren“, erläuterte Zeuss. Die Sensoren sind beispielsweise an ferngesteuerten Fluggeräten, fahrenden Robotern, an Bäumen oder Tieren angebracht.
„Unser vernetztes Sensorsystem besteht aus drei eng miteinander verknüpften Hauptkomponenten“, führte Zeuss aus. Das seien „Sensoren, Datenübertragung und Datenspeicherung“. Als Testgebiet dient der Universitätswald der Philipps-Universität im oberhessischen Caldern. „Wir haben unsere neuen Verfahren der Umweltbeobachtung im Universitätswald ausprobiert, der als ,Marburg Open Forest‘ ein wichtiger Bestandteil von Forschung und Lehre an der Philipps-Universität ist“, erläuterte der Geograph.
Tiere und Pflanzen bilden dabei keine reinen Objekte der Beobachtung, sondern dienen als Teil der Infrastruktur. „Wir stellen unsere eigenen Anwendungsbeispiele aus der Praxis vor“, berichtete der Umweltinformatiker. So befestigte das Team Minikameras oder Trackinggeräte an Vögeln und Fledermäusen, die dadurch beständig Daten über ihren Lebensraum und ihr Verhalten liefern.
„Vernetzte Sensorsysteme haben das Potenzial, die Überwachungslücke zwischen Beobachtungen im Feld und flächendeckender Fernerkundung zu schließen“, resümierte Zeuss. „Sie ermöglichen den Praktikern ein dichtes Beobachtungsnetz, das die biologische Vielfalt nahezu in Echtzeit abbildet, was mit Feldbeobachtungen allein nicht möglich wäre. Im Ergebnis zeigt Natur 4.0, dass ein Umweltmonitoring mit kostengünstigen und modularen Sensorkomponenten möglich ist.“
Zeuss vertritt derzeit die Professur für Umweltinformatik an der Philipps-Universität, solange Mitverfasser Professor Dr. Thomas Nauss als Universitätspräsident amtiert. Neben den Marburger Fachbereichen Geographie, Biologie sowie Mathematik und Informatik beteiligten sich die Universitäten in Gießen, Frankfurt am Main, Darmstadt sowie Paris und das Senckenberg-Institut in Frankfurt an den Forschungsarbeiten, die vom Land Hessen durch die Landesexzellenzinitiative „LOEWE“ finanziell unterstützt wurden.
* pm: Philipps-Universität Marburg