Platz da: Leih-Scooter kommen längst wieder aus der Mode

Einen E-Scooter-Verleih möchte die Stadt in Marburg ansiedeln. Das wäre ein übler Schlag ins gesicht der vulnerablen Bevölkerungsgruppen.
Nicht ohne Grund hat ein Bürgerentscheid in Paris mit überwältigender Mehrheit die Leih-Scooter abgeschafft. Erfahrungsgemäß sind sie Stolperfallen für Fußgängerinnen und Fußgänger mit und ohne Behinderung sowie rostender Schrott in Gewässern und Grünanlagen. Zudem sausen ihre Benutzerinnen und Benutzer oft ohne warnendes Geräusch hautnah an blinden oder alten Menschen vorbei und erschrecken sie damit beinahe zu Tode.
Doch auch die Behauptung, solche elektrischen Fortbewegungsmittel seien ein Gewinn für den Klimaschutz, ist falsch. Nicht nur die Herstellung der elektrischen Fahrzeuge verbraucht viel Energie, sondern auch ihr Betrieb. Wenn überhaupt ein Rollerverleih klimafreundlich wäre, dann allerhöchstens ein Verleihsystem für Tretroller, die mit Muskelkraft betrieben werden.
E-Scooter hingegen müssen mit Strom aufgeladen werden, der dann nicht mehr für andere Nutzungen zur Verfügung steht. Bereits die flächendeckende Versorgung mit sogenanntem „Grünen Wasserstoff“ wird den Stromverbrauch erheblich steigern, wenn sie wirklich klimafreundlich in derjenigen Region erfolgt, wo der Wasserstoff dann auch genutzt wird. Ein globaler Transport von Wasserstoff hingegen verbraucht so viel Energie allein für den Bereitstellungsweg, dass für überseeischen Wasserstoff bei genauerer Prüfung die Bezeichnung „Gründer Wasserstoff“ eigentlich nicht mehr gerechtfertigt erscheint.
Der Hype um die – in aller regel über QR-Codes auf Smartphones und damit nicht barrierefrei organisierten – Verleihsysteme ist eine vorübergehende Modeerscheinung, die einen ökologischen und sozialen Irrweg beschreitet. Statt die Erfahrungen aus Paris ernst zu nehmen, stürzt sich die Stadt Marburg anscheinend sehenden Auges in diese behindertenfeindliche und nicht einmal klimafreundliche Mode hinein. Kommerz scheint hier vor Klimaschutz und vor allem Barrierefreiheit zu rangieren.
Wer selber Eigentümer solch eines Scooters mit Batteriebbetrieb ist, der wird sein Gefährt schonen und nicht achtlos wegwerfen. Als Eigentümer wird er die Gefahren seiner Fortbewegung in der Stadt besser kennen wie jemand, der mit dem genutzten Gefährt und möglicherweise auch der Stadt nicht gerade gut vertraut ist. Darum ist auch die Eigengefährdung der Nutzenden das größte Problem der E-Scooter-Verleihsysteme.
Doch selbst nicht ausgeliehene Fahrräder sind für Blinde oft ein Problem, wenn sie auf Gehwegen oder kombinierten Fuß-Radwegen ohne akustische Vorwarnung dicht an ihnen vorbeisausen. Auch ein Klingeln kurz vor Erreichen der Überholten kann die Fußgängerinnen oder Fußgänger so erschrecken, dass sie möglicherweise in ihrer Schrecksekunde genau in die Fahrbahn der vorbeisausenden Fahrräder hineintreten.
Seit gut 100 Jahren genießt die Stadt Marburg den Ruf, besonders behindertenfreundlich oder gar blindengerecht zu sein. War diese Einstufung bislang – trotz vieler abgeschalteter Ampeltöne – wenigstens im wesentlichen gerechtfertigt, so verspielt die Stadt diese Einschätzung nun mit ihrer Entscheidung für einen E-Scooter-Verleih ebenso wie mit dem Umzug der Tourist-Information in ein – nicht barrierefreies – Gebäude am Bahnhofsvorplatz. Statt ausleihbarer E-Scooter benötigt Marburg in Wirklichkeit mehr rollstuhlgerechte Toiletten in Cafés und Restaurants und statt der Stellplätze für die kommerziell aufladbaren Stromfresser mehr Grün an möglichst vielen Stellen im Stadtgebiet.

* Franz-Josef Hanke

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