Zusammen zugehört: 19. Februar Hanau im Gespräch

„Bei Krankheit gibt es die AOK, bei Unfällen den ADAC, doch für so was gibt es nichts“, stellte Emis Gürbüz fest. Opfer rassistischer Anschläge bekommen keine richtige Unterstützung.
In der Trauer um seinen ermordeten Bruder wurde Gürbüz von den Behörden nicht nur alleingelassen, sondern sogar noch durch eine sogenannte „Gefährderansprache“ bedrängt. „Machen Sie keine Dummheiten“, sei ihm und anderen Angehörigen gesagt worden, als der Vater des Mörders nur wenige hundert Meter von ihren Wohnungen entfernt wieder zurückkam. Dem rassistisch eingestellten Vater jedoch sei dergleichen offenbar nicht gesagt worden, da er Angehörige der Opfer seines Sohnes nach wie vor bedrängt und bedroht.
„HANAU ERINNERN!“ lautete der Titel des Gesprächs mit der Initiative „19. Februar Hanau“ am Mittwoch (11. Januar) im fast vollbesetzten Kleinen TaSch. Gut einen Monat vor dem dritten Jahrestag des rassistischen Anschlags von Hanau sprachen die Angehörigen Çetin Gültekin, Emis Gürbüz und Newroz Duman auf Einladung des Hessischen Landestheaters Marburg (HLTüber ihre Trauer, ihre Wut und die Arbeit zum Gedenken der neun Todesopfer vom 19. Januar 2020. Moderiert wurde dieses Gespräch von Matti Traußneck.
Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov wurden am 19. Februar 2020 von einem Rassisten ermordet. Monate vor der Tat hatte er seinen Anschlag in Schreiben an die Staatsanwaltschaft Hanau und den Generalbundesanwalt (GBA) in Karlsruhe angekündigt. Unternommen haben die beiden Behörden danach jedoch nichts.
„Wissen Sie, wie viele solche Schreiben wir täglich erhalten?“ Mit dieser Frage habe sich ein Vertreter der Bundesanwaltschaft im Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags für seine Untätigkeit gerechtfertigt. „Warum hat er nicht mal eine Polizeistreife losgeschickt?“, wollte Gürbüz wissen.
„Mein Sohn könnte noch leben“, klagte Gültekin die Gleichgültigkeit der Behörden an. „Sind unsere Kinder weniger wert als andere, nur weil wir Türken sind?“
Über das Engagement der Initiative „19. Februar Hanau“ berichtete Duman mit sehr eindringlichen und präzisen Ausführungen. Statt gemäß ihrer Pflicht die Hintergründe der neun Morde zu ermitteln, hätten die Behörden ihr Versagen systematisch vertuscht. Die Initiative habe mit Hilfe der Akten der Bundesanwaltschaft sowie mit Unterstützung der Rechercheagentur Forensic Architecture“ selber ermitteln müssen.
Herausgekommen ist die Ausstellung „Three Doors“ oder zu Deutsch „Drei Türen“. Diese Ausstellung soll zum neuerlichen Jahrestag des Anschlags erweitert und dann in Hanau gezeigt werden. Möglich und wünschenswert sei, diese Ausstellung dann auch in Marburg zu präsentieren.
Die drei Angehörigen berichteten von ihren Erfahrungen mit Führungen durch diese Ausstellung. „Die Menschen haben mit mir geweint“, erzählte Gültekin von ihren Führungen in Berlin. Gürbüz berichtete Ähnliches aus Frankfurt.
„Die Zeitleiste verfolgt die Ereignisse minutiös nach“, erklärte Duman. „Das ist die Wahrheit.“
Den Untersuchungsausschuss im Landtag sieht sie zwar als hilfreich an, erwartet sich davon jedoch keine umfassende Aufklärung. „Da sitzt ein Herr Müller von der Landesregierung, der immer sofort einschreitet, wenn es zur Sache geht“, kritisierte sie. „Das solte doch eigentlich Aufgabe des Ausschussvorsitzenden MariusWeiß sein, die Sitzung zu leiten.“
Das Versagen des Notrufs in der Tatnacht habe die Polizei im Ausschuss ebenso zu vertuschen versucht wie die frühzeitige Feststellung, dass der Notausgang in der „Arena-Bar“ versperrt war. Auch die Anwesenheit von 13 Polizeibeamten einer rassistischen Chatgruppe in der Tatnacht am Tatort hätten die Verantwortlichen dort herabgespielt. Das Video von einem Überflug über Hanau in der Tatnacht sei dem Vorsitzenden des Ausschusses gezielt vorenthalten worden.
„Die Parteien benutzen den Ausschuss für ihren Wahlkampf“ beklagte sich Gültekin. „Die Opposition benutzt ihn gegen die Regierung. Aber auch sie verfolgt nicht unsere Interessen.“
Die Polizei habe den Vater des Täters nicht einmal auf Schmauchspuren hin untersucht, bemängelte Gürbüz. Somit sei nicht einmal sicher, dass nicht vielleicht er seinen Sohn und seine Ehefrau erschossen haben könnte.
Trotz der psychologischen Behandlung des Mörders habe er 2013 problemlos einen Waffenschein bekommen. Das sei nur nach einer Änderung des Waffenrechts möglich gewesen, die zum Erwerb des Waffenscheins keine gesundheitlichen Voraussetzungen mehr verlangt, erklärte Duman auf. Sie forderte eine Verschärfung des Waffenrechts zum Schutz der Bevölkerung vor psychisch labilen Gewalttätern.
Zudem fordert die Initiative die Errichtung eines Mahnmals auf dem Marktplatz in Hanau. Auch ein Mahnmal in Marburg erklärte die Moderatorin für wünschenswert. Auf dem Friedrichsplatz im Südviertel gebe es nur eines allgemein gegen Rassismus, erläuterte Traußneck.
Während die Zivilgesellschaft den Angehörigen viel Solidarität zeige, erwiesen sich die Behörden als aufklärungsunwillig. Dabei benötige die Demokratie eine lückenlose Aufklärung und entsprechende Konsequenzen für die Verantwortlichen. „Wir machen das alles ja für Deutschland, damit so etwas nie wieder geschieht“, erklärte Gürbüz.
Die bestehenden Initiativen von Angehörigen der Opfer rassistischer Gewalt in Hanau, Halle, von Opfern des sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrnds“ (NSU) und anderer Mordtaten hätten sich zwischenzeitlich miteinander vernetzt. Damit wollten sie auch dafür sorgen, dass mögliche Opfer künftiger Taten nicht mehr alleingelassen werden.
Den dritten Jahrestags des rassistischen Anschlags von Hanau wollen die Angehörigen erstmals gemeinsam mit allen anderen Initiativen und der Stadt Hanau gestalten. Harsche Kritik äußerten sie gegenüber der Stadt und dem Oberbürgermeister Claus Kaminsky, die Gedenkveranstaltungen über ihren Kopf hinweg geplant und durchgeführt hätten. Das sei nun erstmals anders.
Bundesweit wünschen sie sich Gedenkveranstaltungen am 19. Februar jedes Jahres. Damit wollen sie nicht nur das Andenken an die Ermordeten aufrechterhalten, sondern auch den Druck auf die Behörden zur Aufklärung des Verbrechens. Nur dank dieses Drucks seien sie überhaupt schon so weit gekommen, dass sie geheimgehaltene Dokumente und verschwiegene Tatsachen zum Hintergrund des neun Morde ans Tageslicht bringen konnten.
Die durchaus emotionalen Statements von Gültekin und Gürbüz unterstrichen die eher sachlichen Erklärungen von Duman auf, die die Ungeheuerlichkeiten des dramatischen Staatsversagens bei der – vielfach versprochenen, doch bislang absolut nicht eingelösten – Aufkrärung dieses Verbrechens drastisch verdeutlichten. Durchgängig bezeichneten alle den Mörder immer nur als „der Rassist“. Sein Name wie auch der seines Vaters fiel an diesem Abend kein einziges Mal.
Zum Abschluss wiederholte Traußneck gemeinsam mit dem Publikum noch einmal die Namen Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Leider bot die Moderatorin dem Publikum danach keine Gelegenheit zu Äußerungen. Während Gürbüz das „Kleine TaSch“ sofort verließ, knüpfte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies dort nach dem Ende des Vortrags ein Gespräch mit Gültekin am.

* Franz-Josef Hanke

Kommentare sind abgeschaltet.