Das 9-Euro-Ticket soll Fahrgäste zum Bahnfahren bewegen. Die Realität einer Bahnreise indes bewirkt das genaue Gegenteil.
Eine Marburgerin hatte so ein günstiges Ticket erworben. Nicht nur ihre Erfahrungen mit der Bahn waren jedoch vernichtend. Auf der Main-Weser-Bahn von Kassel über Marburg nach Frankfurt gehören Zugausfälle und größere Verspätungen zum täglichen Erlebnisschatz der Bahnreisenden.
Der Spruch „Reisende soll man nicht aufhalten“ wird gelegentlich verwendet, um eine Person, die sich verabschieden will, gehenzulassen. Sie aufzuhalten, hätte keinen Sinn. Diesen Spruch sollte sich auch die Deutsche Bahn AG (DB AG) zu eigen machen im Sinne einer besseren Kundenfreundlichkeit.
Öfter als ihm lieb ist, muss der Bahnkunde auf den nächsten Zug warten. Grund dafür können Baustellen sein, die anscheinend gleichmäßig über das gesamte deutsche Schienennetz verteilt sind, oder auch die kurzfristige Erkrankung eines Mitarbeiters. Wenn man nicht selbst davon betroffen ist, so ertönen in fast jeder Stadt auf den Nachbargleisen via Lautsprecher entsprechende Durchsagen, die zynischerweise mit der Floskel enden: „Wir bitten um Entschuldigung“.
Aber es kann noch viel schlimmer kommen. Für die Bahnreisende aus Marburg kam es so schlimm, dass sie sich nach zwei Tagen (immer noch) von einer anstrengenden Bahnfahrt am Donnerstag (7. Juli) und von den Auswirkungen eines katastrophalen Kundenservices erholen muss. Dabei erfreut sie sich sonst guter Gesundheit.
„Am Mittwoch (7. Juli) sollte der letzte Zug von Kassel-Wilhelmshöhe nach Marburg am Gleis 7 planmäßig um 22.29 Uhr losfahren“, berichtet die Marburgerin. Das tat er aber nicht in diesem Fall angeblich wegen einer Erkrankung eines Mitarbeiters-. Der Zug sollte gemäß der Lautsprecherdurchsage ersetzt werden.“
Das war dann auch die letzte Durchsage auf dem Bahnsteig, wo rund 80 Fahrgäste auf den Zug nach Marburg warteten. Alle waren Leute, die einen anstrengenden Tag hinter sich hatten und sich nichts sehnlicher wünschten, als endlich zu Hause anzukommen, um dann – unter eine heiße Dusche zu springen und endlich ins Bett zu fallen. Einige der Wartenden, die nun dastanden – buchstäblich wie bestellt und nicht abgeholt – bildeten angesichts der Tatsache, dass keine Durchsagen mehr gemacht wurden, wie und ob es überhaupt weitergeht, Grüppchen, um zu beraten, was jetzt zu tun sei.
Einer versuchte die hotline anzurufen. Mindestens eine Stunde lang ertönte nichts als der wiederkehrende Satz: „wir bitten um Geduld“, bis eben diese Geduld erschöpft war und der Betreffende auflegte.
Ein anderer hat sich vorgenommen, die Bahn zu verklagen. Dazu schrieb er sich die Kontaktdaten der Umstehenden auf.
Irgendwann gegen Mitternacht kam dann doch noch ein Zug, der zwar in die gewünschte Richtung, aber nur bis Treysa fuhr. Im Zug hieß es dann, dass die Fahrgäste die Weiterfahrt bis zum Zielort selber organisieren müssten; Busse standen nämlich nicht mehr zur Verfügung.
„Glücklicherweise habe ich ein Taxi – eines von insgesamt zweien – ergattern können, das mich gegen 80 ? nach Marburg fuhr, wo ich dann um 2 in der Nacht ankam“, berichtet die Reisende. „Was mit den anderen Fahrgästen, die noch in Treysa herumstanden, passiert ist, weiß ich nicht. Da keine Busse und ab 3 auch keine Taxis mehr fuhren und das Hotel in Treysa auch geschlossen hatte, blieb den anderen Leuten wohl nichts anderes übrig, als in der nächtlichen Kälte auf den nächsten Zug zu warten, der erst wieder gegen 5 Uhr fuhr, ohne Versorgung der Reisenden, unter denen auch alte Leute und kleine Kinder waren.“
Auf der Fahrt von Treysa nach Marburg berichtete der Taxifahrer, mitternächtliche Zugausfälle ohne Unterstützung der Fahrgäste wie in der Nacht auf Freitag (8. Juli) kämen häufiger vor. Das Fazit der Marburgerin ist vernichtend: „Wenn es schwierig wird, duckt sich die Bahn einfach weg und lässt die Kunden im Stich.“
In diese Art der „Kundenorientierung“ passt auch, dass das „Reisezentrum“ im Marburger wie auch im Gießener Hauptbahnhof ausgerechnet sonntags geschlossen ist, wenn besonders viele Reisende die Bahn benutzen. Ebenso passt der Umgang mit Beschwerden, die am Telefon mitunter einfach weggedrückt oder mit kaum überbrückbaren Formalitäten erschwert werden. Seit der Bahn-Privatisierung 1994 hat das >Management an Personal sowie Instandhaltung von Schienen und Fahrzeugen derart gespart, dass der nun aufgelaufene Sanierungsbedarf zahlreiche Betriebseinschränkungen und Zugausfälle erforderlich macht.
Klare Ansagen sind jedoch Mangelware. Eingebürgert hat sich bei der DBAG vielmehr eine Unkultur der Ignoranz gegen die Kundschaft. Die Verantwortung des Managements der DBAG für Kundschaft und Personal, das am Ende für alle Probleme büßen muss, scheint den derzeit dort amtierenden Personen nicht wirklich wichtig zu sein
* Franz-Josef Hanke