Eine Gedenkstunde für verfolgte und deportierte Sinti wurde aufgezeichnet. 80 Nelken am Gedenkkranz stehen für Opfer aus Marburg und Umgebung.
Am 23. März 1943 wurden Sinti aus Marburg und Umgebung nach Auschwitz deportiert, wo viele von ihnen zum Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes wurden. Insgesamt wurden 80 Sinti in dieser Zeit verfolgt und deportiert. Nur zwei von ihnen überlebten.
Die Universitätsstadt Marburg hat am Montag (22. März) eine Gedenkstunde veranstaltet. Pandemiebedingt fand sie im kleinen Kreis statt. Für alle wurde die Veranstaltung aufgezeichnet und ist auf der Webseite der Stadt verfügbar. „Hier in unserer Stadt – im friedlichen, freundlichen, weltoffenen Marburg –
haben Rassismus, Diskriminierung und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit keinen Platz“, betonte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies anlässlich der Gedenkfeier für die 80 verfolgten und am 23. März 1943 deportierten Sinti aus Marburg und Umgebung. Er machte deutlich, dass die Verfolgung und Diskriminierung jedoch nicht 1945 nach Ende des Zweiten Weltkriegs aufhörte. Weiterhin sei es nötig, gegen Diskriminierung Gewalt, Ausgrenzung, Antiziganismus und Rassismus vorzugehen.
„Dagegen wollen wir, dagegen müssen wir ankämpfen – gemeinsam jeden Tag“, bekräftigte Spies. Gemeinsam mit Adam Strauß als Vorsitzendem des Hessischen Landesverbandes Sinti und Roma, Bürgermeister Wieland Stötzel und Stadträtin Kirsten Dinnebier, Stadtverordnetenvorsteherin Marianne Wölk, Kreistagsvorsitzenden Detlef Ruffert und Hans Junker von der Geschichtswerkstatt Marburg gedachte er vor dem Bauamt an der Barfüßerstraße den Opfern des Nationalsozialismus. An der Stelle vor dem ehemaligen Landratsamt, an der die Verfolgten damals vor ihrer Deportation versammelt wurden, hat die Stadt einen Gedenkkranz angebracht. Die 80 Nelken symbolisieren die Anzahl der Opfer aus Marburg und Umgebung – Kinder, Jugendliche, Erwachsene und ganze Familien.
Auch Strauß sprach an diesem Nachmittag. „Vor 78 Jahren wurden 78 Sinti aus Marburg und Umgebung von hier aus nach Auschwitz/Birkenau deportiert. Darunter viele Kinder – das jüngste gerade mal zwei Monate alt.“ Auch sein Vater und dessen Familie gehörten zu den Deportierten. Etwa 500.000 Sinti und Roma wurden Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes. Doch erst 1982 wurde der Völkermord als solcher anerkannt.
Bis heute habe die Geschichte tiefe Verletzungen bei den Angehörigen hinterlassen – das müsse anerkannt werden. Aber nicht nur das Gedenken an die Ermordeten sei wichtig, sondern „es muss auch verstanden werden, wie es dazu kommen konnte, um künftige Verbrechen an der Menschheit verhindern zu können“.
Hans Junker verlas im Anschluss die Namen der nachzuverfolgenden verfolgten und deportierten Sinti aus Marburg und Umgebung mit Altersangaben: Adolf Braun (4 Jahre alt), Albert Braun (6 Jahre alt), Alfred Braun (1 Jahr alt), Alwine Braun (43 Jahre alt), Brigitte Braun (10 Jahre alt), Gertrud Braun (11 Jahre alt), Gisela Braun (13 Jahre alt), Margarete Braun (15 Jahre alt), Marianne Braun (17 Jahre alt), Max Braun (18 Jahre alt), Bernhardine Einacker (52 Jahre alt), Emma Einacker (25 Jahre alt), Adolf Kreutz (30 Jahre alt), Anna Kreutz (10 Jahre alt), Anna Kreutz (15 Jahre alt), Anni Kreutz (5 Jahre alt), Antonia Kreutz (40 Jahre alt), Arnold Kreutz (22 Jahre alt), Christine Josefine Kreutz (51 Jahre alt), Dora Kreutz (8 Jahre alt), Dorothea Kreutz (19 Jahre alt), Elisabeth Kreutz (13 Jahre alt), Hermann Kreutz (19 Jahre alt), Josefine Kreutz (11 Jahre alt), Julius Kreutz (27 Jahre alt), Karl Kreutz (17 Jahre alt), Konrad Kreutz (45 Jahre alt), Laubmann Kreutz (21 Jahre alt), Margarethe Kreutz (13 Jahre alt), Martha Kreutz (9 Jahre alt), Mathias Kreutz (43 Jahre alt), Mathilde Kreutz (67 Jahre alt), Theodor Kreutz (12 Jahre alt), Alwine Reinhardt (14 Jahre alt), Erwin Reinhardt (2 Monate alt), Helene Schäfer (32 Jahre alt), Magdalene Schäfer (6 Jahre alt), Renate Schäfer (8 Jahre alt), Amanda Schanne (13 Jahre alt), Maria Schanne (49 Jahre alt), Robert Schanne (12 Jahre alt), Frieda Steinbach (32 Jahre alt), Julius Steinbach (4 Jahre alt), Marianne Steinbach (9 Jahre alt), Siegfried Steinbach (7 Jahre alt), Hildegard Straub (16 Jahre alt), Adam Strauß (21 Jahre alt), Agnes Strauß (12 Jahre alt), Brigitte Strauß (2 Jahre alt), Elfriede Strauß (24 Jahre alt), Elise Strauß (50 Jahre alt), Ewald Strauß (48 Jahre alt), Heinz Strauß (17 Jahre alt), Heinz Strauß (4 Monate alt), Julius Strauß (18 Jahre alt), Salamande Strauß (15 Jahre alt), Alwine Weiss (54 Jahre alt), Willy Weiss (21 Jahre alt), Anna Winter (22 Jahre alt), Elisabeth Winter (9 Jahre alt), Friedrich Winter (3 Jahre alt), Georg Winter (9 Jahre alt), Gertrud Winter (2 Jahre alt), Hans Winter (7 Jahre alt), Johanna Winter (10 Jahre alt), Klara Winter (7 Monate alt), Richard Winter (3 Jahre alt), Rosa Winter (35 Jahre alt).
Im kleinen Kreis gedachten die Anwesenden in Stille diesen Menschen. Für alle Bürgerinnen und Bürger wurde die Veranstaltung aufgezeichnet und kann unter www.marburg.de/gedenkstunde abgerufen werden. Außerdem lud die Stadt dazu ein, am 23. März vor dem ehemaligen Landratsamt Blumen niederzulegen und so das Gedenken zum Ausdruck zu bringen.
* pm: Stadt Marburg