Marburg bekommt ein „Haus der Nachhaltigkeit“. Das hat die Stadtverordnetenversammlung (stVV) beschlossen.
Ort des „Hauses der Nachhaltigkeit“ wird der Kerner am Lutherischen Kirchhof unterhalb der Ritterstraße sein. Der Kerner soll als ein Ort dienen, an dem sich engagierte Menschen vernetzen können und die Oberstadt neu beleben. Die Umsetzung des Projekts erfolgt im Rahmen des Städtebauförderprogramms „Lebendige Zentren“ und des Klima-Aktionsplans 2030.
Der Kerner wird neben dem „Haus der Nachhaltigkeit“ auch weiterhin Räumlichkeiten für die Evangelische Kirchengemeinde und das Interkulturelle Begegnungszentrum des Kerner-Netzwerks beherbergen. Die Realisierung des Projekts sei dabei ohne den Fördermittelgeber des Landesprogramms „Lebendige Zentren“ nicht möglich gewesen.
„Über gut ein Jahr haben wir mit der Evangelischen Kirche und mit Initiativen der Nachhaltigkeit verhandelt, überlegt und kreativ nachgedacht; und jetzt gehen wir die ersten Schritte“, erklärte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. „Mit Förderung vom Land wollen wir ein Haus in der Oberstadt sanieren, dessen Dachstuhl älter ist als die Entdeckung Amerikas. Was ein herrliches Symbol für nachhaltige Nutzung!“
Erste Gespräche des Magistrats mit der Evangelischen Kirche begannen bereits im Jahr 2018. Die evangelische Kirche wandte sich an den Magistrat mit der Bitte, sie bei der Sanierung des Kerners zu unterstützen. Im Gegenzug bot sie eine überwiegende Nutzung für städtische Zwecke an.
Dekan Burkhard zur Nieden erklärte: „Der Kerner ist ein bedeutendes Stück Marburger Geschichte, ein kulturhistorischer Schatz und in seinem Untergeschoss ein lebendiges Zentrum der Kirchengemeinde der Lutherischen Pfarrkirche. Mit dem dauerhaften Unterhalt des Gesamtgebäudes ist die evangelische Kirche in Marburg aber überfordert. Seit längerem suchen wir einen starken Partner mit einem überzeugenden Nutzungskonzept. Was passte besser als Nachhaltigkeit, oder, wie wir in der Kirche sagen Frieden, Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung?“
Die Stadt Marburg fördert seit langem das ehrenamtliche Engagement ihrer Bevölkerung, sei es direkt oder indem sie Räume kostenlos oder sehr günstig bereitstellt, wie es im Gebäude „Am Plan“ 3 geschieht. Mit dem neuen „Haus der Nachhaltigkeit“ im Kerner baut die Stadt diese Unterstützung weiter aus. Der Fokus liegt dabei auf dem Klima-Aktionsplan 2030.
Denn das große Ziel, bis 2030 klimaneutral zu werden, kann nur gemeinsam gelingen. Dabei sind die Impulse und die konstruktive Kritik, die ehrenamtliche Gruppen, Verbände und Initiativen in den Bereichen Nachhaltigkeit und Umwelt liefern, für eine erfolgreiche Umsetzung unverzichtbar.
Neben der direkten Förderung der Bürgerinnen und Bürger für ihr Klimaschutz-Engagement will die Stadt auch mehr Vernetzungsmöglichkeiten schaffen. Das „Haus der Nachhaltigkeit“ soll eben diesen Raum bieten.
„Viele Initiativen und Projekte, die sich für mehr Nachhaltigkeit in Politik, Gesellschaft und Bildung einsetzen, arbeiten mit begrenzten Budgets und teilweise ehrenamtlichen Strukturen“, erklärte Franziska Weigand vom Netzwerkbüro des Vereins „motivès“. „Sie können sich die ortsüblichen Mieten in Marburg nicht leisten und sind dementsprechend im Stadtbild wenig sichtbar. Wie jetzt schon das Netzwerkbüro am Plan 3 wird das zukünftige Haus der Nachhaltigkeit bezahlbare Büro- und Seminarräume zur Verfügung stellen. Ein solcher Ort wird nicht nur die Arbeit und Vernetzung dieser Gruppen fördern, sondern sie auch – im wahrsten Sinne des Wortes – in die Stadt bringen und ins öffentliche Geschehen integrieren“
Drei Ebenen sowie das Dachgeschoss des Kerners stünden verschiedenen Verbänden und Initiativen für Seminare, Workshops und Co-Working-Spaces im Sinne der Nachhaltigkeit zur Verfügung. Die Nutzerinnen und Nutzer haben darauf zu achten, die Räumlichkeiten sinnvoll auszunutzen und leerstehende Räume – insbesondere über längere Zeiträume hinweg – zu vermeiden, da das gegen das Prinzip einer nachhaltigen Nutzung ginge. Die Untergeschossebene des Gebäudes soll weiterhin primär von der Pfarrgemeinde und dem Kerner-Netzwerk genutzt werden.
„Ich freue mich, dass das jahrelange Engagement der Pfarrkirche und des Kerner-Netzwerkes im Blick auf eine Stärkung der Zivilgesellschaft und den Zusammenhalt der Gesellschaft durch das Haus der Nachhaltigkeit noch mehr Gestalt bekommt“, sagte Pfarrer Ulrich Biskamp. „Wir werden Zukunft in Marburg und weltweit nur schaffen und gestalten können, wenn wir im umfassenden Sinn nachhaltig denken und handeln. Wir sitzen alle im gleichen Boot und wir kommen nur dann voran, wenn wir aufeinander achten und miteinander nach vorne schauen und uns alle in die Riemen werfen.“
Eine höhere Auslastung des Kerners durch Besucher führt auch zu mehr Leben in der Oberstadt. Menschen, die sich bereits in der Oberstadt befinden, werden auch häufiger die Angebote der Gastronomie und des Einzelhandels wahrnehmen.
Der Kerner wurde im 13. bis 14. Jahrhundert errichtet. Somit ist er 700 Jahre alt. Damit stellt der Kerner eines der ältesten Kulturdenkmäler der Stadt Marburg dar.
Über die Jahrhunderte diente das Gebäude den verschiedensten Zwecken. Bevor das heutige Rathaus am Marktplatz errichtet wurde, tagten die Ratsherren im Kerner. Hundert Jahre lang hatten sie dort ihren Sitz inne.
Der Kerner war auch Ort für die Armenspeisung. Bis in das 17. Jahrhundert hinein diente er als Versammlungsort und wurde von der Stadt als Zeughaus genutzt. Dann übernahm die Lutherische Kirchengemeinde den Kerner und gebrauchte ihn seitdem für vor allem kirchliche Zwecke.
* pm: Stadt Marburg