Einen neuartigen Quantenzustand an der Grenzfläche zwischen „2D“- und organischem Halbleitern haben Forschende mit Marburger Unterstützung entdeckt. „Hybride Exzitonen“ vereinen das Beste aus zwei Welten.
„Schneller, effizienter, vielseitiger“: Das sind die Erwartungen an Technologien, die in Zukunft Energie erzeugen und Informationen verarbeiten. Wie können diese Erwartungen erfüllt werden? Ein Forschungsteam der Universitäten Göttingen und der Philipps-Universität Marburg, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Graz hat nun einen Durchbruch erzielt: Die Forschungsgruppen um den Marburger Halbleiter-Physiker Prof. Dr. Marcel Reutzel haben zwei Materialtypen –
einen organischen und einen zweidimensionalen Halbleiter – miteinander kombiniert und deren gemeinsame Reaktion auf Licht untersucht.
Dafür nutzten sie Photoelektronenspektroskopie und die „Vielteilchen-Störungstheorie“. So konnten sie grundlegende Prozesse wie die Energieübertragung an der Grenzfläche zwischen den Materialien im Bruchteil einer Sekunde beobachten und beschreiben. Die Kombination dieser verschiedenen Halbleiter mit ihren jeweiligen Eigenschaften ist vielversprechend für die Entwicklung neuer Technologien, etwa modernen Tandem-Solarzellen. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin „Nature Physics“ veröffentlicht.
„Die Physik in Marburg ist ein idealer Standort derartige Forschung voranzutreiben: Wir haben Zugriff auf und entwickeln modernste Methoden der Halbleiter-Spektroskopie und können so produktiv gemeinsam mit Kolleg*innen aus Marburg und aller Welt zusammenarbeiten“, sagte Prof. Dr. Marcel Reutzel. „Im Marburger Zentrum mar.quest (Marburg Center for Quantum Materials and Sustainable Technologies) bündeln wir genau diese Stärken, um quantenphysikalische Grundlagenforschung gezielt in Richtung zukünftiger Technologien weiterzuentwickeln.“ Der Physiker Reutzel ist 2025 von der Uni Göttingen nach Marburg gewechselt und baut derzeit seine Arbeitsgruppe innerhalb von mar.quest aus.
In dem Experiment kam eine fortschrittliche Form der Photoelektronenspektroskopie zum Einsatz. Dabei handelt es sich um die Impulsmikroskopie. Die Forschenden visualisierten damit die Anordnung der Elektronen im 2D-Halbleiter und im organischen Halbleiter, während diese elektronische Struktur durch Licht verändert wurde. So entstand ein „Film“, der zeigt, wie Exzitonen zunächst durch Energie angeregt und dann in neue Exziton-Arten umgewandelt werden.
Exzitonen sind quantenmechanische Teilchen. Jedes besteht aus einem Elektron, das an ein Loch – dem physikalischen Vorgang seiner Entstehung nach auch Elektronfehlstelle genannt -gebunden ist. Sie entstehen in Halbleitern durch Lichtabsorption, das heißt durch die Aufnahme von Energie aus Lichtstrahlen. Deshalb spielen sie eine zentrale Rolle in optoelektronischen Bauteilen wie Solarzellen und Leuchtdioden (LEDs). In Abhängigkeit von ihren Eigenschaften werden verschiedene Arten unterschieden.
Die Forschenden konnten genau sehen, wie Energie absorbiert und über die Grenzfläche zwischen dem 2D-Halbleiter und dem organischen Halbleiter verteilt wird. Das gelang ihnen mit Hilfe des einzigartigen spektroskopischen Fingerabdrucks jeder Exziton-Art, den sie mit Unterstützung von Berechnungen nach der Vielteilchen-Störungstheorie der Verteilung der Exzitonen im Material zuordnen konnten. So fanden sie heraus, dass die Absorption eines Photons in der 2D-Schicht zu einer Energieübertragung in die organische Schicht führen kann.
Das geschieht in weniger als 0,0000000000001 Sekunden. Das ist einem Zehn-Billionstel (10-13) einer Sekunde. „Der Schlüssel zu dieser ultraschnellen Energieübertragung ist die Bildung von ,hybriden Exzitonen‘, für die wir nun ein markantes experimentelles Merkmal gefunden haben“, erklärte Prof. Dr. Stefan Mathias von der Universität Göttingen.
Je nach Material verhalten sich Exzitonen unterschiedlich: In organischen Halbleitern sind sie typischerweise unbeweglich und somit an einen Ort gebunden. In 2D-Halbleitern bewegen sie sich dagegen frei durch das gesamte Material. An einer Grenzfläche zwischen diesen beiden Halbleitern kann jedoch etwas Neues entstehen: Hier können sich sowohl die Eigenschaften der zwei Materialien als auch die der Exzitonen vermischen, wodurch neuartige hybride Exzitonen entstehen. Genau das haben die Forschenden in ihrem Experiment an der Grenzfläche zwischen dem 2D-Halbleiter „WSe2“ und dem organischen Halbleiter „PTCDA“ beobachtet.
„Unsere Ergebnisse ermöglichen es uns, die grundlegenden Prozesse hinter der Energie- und Ladungsübertragung in Halbleiter-Nanostrukturen besser zu verstehen und effizient zu nutzen“, erklärte Erstautorin Dr. Wiebke Bennecke von der Universität Göttingen. „Das ist ein entscheidender Schritt für die Entwicklung effizienter Solarzellen, ultraschneller optoelektronischer Komponenten und neuartiger Anwendungen in der Quantentechnologie.“ Außerdem fügte sie hinzu: „Anlässlich des 100. Jubiläums der Quantenmechanik zeigen unsere Ergebnisse eindrucksvoll deren Relevanz für die Technologie der Zukunft.“
* pm: Philipps-Universität Marburg