Bahnfahren ist eines der letzten Abenteuer in Deutschland. Selten kann man sicher sein, dass man pünktlich am gewünschten Ziel ankommt.
An der Strecke lauern allerlei Bedrohungen: Das reicht vom Defekt an Lok, Triebwagen oder Türen bis hin zum sogenannten „Personenschaden“. Damit wird meist ein Suizid beschrieben, den Menschen aus Verzweiflung an einer Bahnstrecke begehen. Diese Verzweiflung übermitteln sie damit dann auch den Reisenden, deren Zug oft stundenlang auf der betroffenen Strecke stehenbleibt, bis der Tathergang aufgenommen und ein Fremdverschulden ausgeschlossen ist.
Häufigster Grund für Störungen des Betriebbsablaufs der Bahn sind in diesen Tagen aber Baustellen. In den letzten Monaten sind sie auf der Main-Weser-Bahn zwischen Frankfurt und Kassel entlanggewandert wie eine fröhlich singende Schulklasse. Ihr Tempo war dabei allerdings wesentlich langsamer als das von Erstklässlern, weil die Arbeiter zwischen jedem Schritt und dem nächsten ja noch Schwellen austauschen, Schotter abgraben oder auffüllen und Schienen reparieren mussten.
Währenddessen befördert die Bahn die Reisenden mit Bussen. Allerdings geschieht das meist mit unzureichendem Platzangebot und wenig Rücksicht auf ältere und behinderte Fahrgäste. Auch Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, können bei solch einem „Schienenersatzverkehr“ schnell unter die Räder kommen.
Geschehen ist dergleichen auch mehreren Menschen aus Marburg, die einen Besuch in Frankfurt abstatten wollten. Stundenlang mussten sie am Marburger Hauptbahnhof warten, bis ein überfüllter Bus nahte, in den dann gar nicht alle Wartenden einsteigen konnten. Der nächste Bus kam dann auch erst nach längerer Wartezeit.
Bei der Rückfahrt beeilten sich einige Erfahrene, in Gießen noch schnell den Ersatzbus nach Marburg zu bekommen, bevor der Ansturm der Reisenden aus dem Zug ihn erreichte. Ein Blinder blieb zurück und wartete gleich mehrere Stunden mitten in der Nacht. So achtet die Deutsche Bahn halt auf ihre behinderten Reisenden!
Wenn schon Bauarbeiten an bahnstrecken nötig sind, was zweifelsfrei häufig der Fall ist, dann muss die Bahn garantieren, dass dabei niemand auf der Strecke bleibt. Insbesondere behinderte und ältere Fahrgäste bedürfen dann ihres besonderen Schutzes. Bahnfahren darf nicht zu einem sozialdarwinistischen Abenteuer werden, bei dem Menschen des Nachts stundenlang auf leeren Bahnhöfen frieren, weil andere schneller oder fitter waren!