Die Von-Behring-Röntgen-Stiftung unterstützt zehn wegweisende Forschungsprojekte in Marburg und Gießen. Sie erhalten 1,6 Millionen Euro für medizinische Spitzenforschung.
Krebs, Virusinfektionen und psychische Erkrankungen sind einige der bedeutenden medizinischen Herausforderungen, denen sich die aktuellen Forschungsprojekte der Von-Behring-Röntgen-Stiftung widmen. Bereits zum 18. Mal fördert die Medizinstiftung innovative Forschungsvorhaben an der Philipps-Universität und der Justus-Liebig-Universität Gießen. Über insgesamt 1,6 Millionen Euro für zehn Projekte können sich die Begünstigten freuen. Bei einer Feierstunde am Mittwoch (15. Januar) am Stiftungssitz im Marburger Landgrafenschloss überreichte der Stiftungsvorstand die Förderurkunden.
„Die Förderung zukunftsweisender Medizin ist entscheidend für den Fortschritt der Gesundheitsversorgung“, betonte Stiftungspräsident Dr. Lars Witteck bei der Übergabe. „Unsere Unterstützung bietet den Forschenden die Möglichkeit, bahnbrechende Lösungen zu entwickeln, die langfristig das Leben von Millionen Menschen verbessern können. Wir sind stolz darauf, einen Beitrag zu dieser wichtigen Aufgabe zu leisten.“
Im Januar 2025 starten die acht vielversprechenden Einzelprojekte von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern sowie die beiden Gemeinschaftsprojekte von Forschenden beider Medizinstandorte. Die Forschungsvorhaben wurden von einem hochkarätigen Wissenschaftlichen Beirat aus 50 eingereichten Vorschlägen der aktuellen Förderrunde der Von-Behring-Röntgen-Stiftung ausgewählt. Maximal drei Jahre haben die Projektleiterinnen und -leiter Zeit, um ihre ambitionierten Ziele zu verwirklichen.
Nit einer Sterblichkeitsrate von 40 bis 60 Prozent gehört das Ebolavirus zu den gefährlichsten Viren. Die jüngsten Ausbrüche in afrikanischen Ländern haben eindrucksvoll gezeigt, wie schnell sich Ebolavirus und andere ähnliche Viren (Filoviren) ausbreiten und schwere Epidemien verursachen können, die sowohl soziale als auch wirtschaftliche Schäden anrichten. Um künftig besser auf solche Ausbrüche reagieren zu können, ist es entscheidend, die genauen Mechanismen der Virusvermehrung und die Wechselwirkungen zwischen dem Virus und den Zellen des menschlichen Körpers zu verstehen. Nur so können gezielte Angriffspunkte für die Entwicklung von antiviralen Medikamenten gefunden werden.
In ihrem Forschungsprojekt untersucht die Virologin Dr. Nadine Biedenkopf aus Marburg, welche Rolle die Methylierung – ein chemischer Prozess – des viralen Nukleoproteins NP bei der Vermehrung des Ebolavirus spielt. Zudem erforscht sie, welche Proteine in den Wirtszellen an diesem Prozess beteiligt sind. Ihr Ziel ist, neue Erkenntnisse zu gewinnen, die zur Entwicklung von wirksamen Therapien gegen das Virus beitragen können. Das Projekt wird mit 190.200 Euro gefördert.
Viren, die über die Atemwege oder durch Moskitos und Zecken übertragen werden, können schwere Erkrankungen auslösen und Epidemien verursachen. Prof. Dr. Janis Müller aus Marburg untersucht, welche Immunbarrieren diese Viren überwinden müssen, um neue Ansätze zur Eindämmung ihrer Ausbreitung zu entwickeln. Im Fokus seines Projekts stehen sogenannte „extrazelluläre Vesikel“ (EVs). Das sind kleine, körpereigene Bläschen, die von Zellen abgeschnürt werden und in Körperflüssigkeiten vorkommen. Diese Vesikel haben antivirale Eigenschaften und können vor Infektionen schützen.
Müller und seine Arbeitsgruppe untersuchen, wie sich die antivirale Wirkung von EVs gegen Viren wie Zika und Gelbfieber zwischen menschlichen Zellen und den Zellen von Moskitos unterscheidet. Zudem wird erforscht, ob und wie EVs Schutz gegen das hochpathogene Krim-Kongo-Hämorrhagische-Fieber-Virus bieten können, das sich in Europa ausbreitet, sowie gegen Atemwegsviren wie Influenza und RSV (Respiratorisches Synzytialvirus). Das Projekt wird mit 199.980 Euro gefördert.
Psychische Erkrankungen wie Depressionen, bipolare Störungen und Schizophrenie betreffen Millionen von Menschen in Europa. Sie treten häufig erstmalig im jungen Erwachsenenalter auf und verlaufen oft in unvorhersehbaren Episoden, die das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigen können. Das Forschungsprojekt von Dr. Frederike Stein aus Marburg untersucht, welche Faktoren und Mechanismen den Verlauf dieser Erkrankungen beeinflussen.
Mit Hilfe von Daten aus klinischen Untersuchungen, Smartphone-Analysen und bildgebenden Verfahren sollen Krankheitsmuster identifiziert und zukünftig vorhergesagt werden. Langfristig sollen die Ergebnisse dazu beitragen psychische Erkrankungen früher zu erkennen und gezielter zu behandeln. Stein erhält 100.000 Euro für die Durchführung ihres Forschungsvorhabens.
Die Tiefe Hirnstimulation (THS) ist eine etablierte Behandlungsmethode im fortgeschrittenen Stadium der Parkinson-Krankheit. Dabei werden Elektroden in zentrale Bereiche des Gehirns implantiert, um diese mit elektrischen Impulsen zu stimulieren Während die THS bei vielen Patientinnen und Patienten deutliche Verbesserungen bringt, zeigen sich erhebliche Unterschiede in den Behandlungsergebnissen. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass diese Variabilität auf die Stimulation unterschiedlicher neuronaler Netzwerke zurückzuführen ist.
Dr. Philipp Löhrer aus Marburg will durch die Kombination von Bildgebung und computergestütztem Modellieren jene neuronalen Netzwerke identifizieren, deren Stimulation mit einer Minderung spezifischer neuropsychiatrischer Symptome wie Angst, Depression oder Impulsivität in Verbindung steht. Das könnte dazu beitragen, die Platzierung und postoperative Einstellung der Stimulation individuell auf das Symptomprofil der Patientinnen und Patienten abzustimmen und so eine personalisierte THS-Therapie zu ermöglichen. Das Projekt wird mit 200.000 Euro unterstützt.
Einige Proteine von Coronaviren, sogenannte Viroporine, beeinflussen Ionenkanäle in Wirtszellen. Ihre genauen Funktionen sind jedoch noch nicht vollständig verstanden. Um die Auswirkungen von Coronavirus-Infektionen auf Organe besser zu verstehen, ist es wichtig, die Interaktionen zwischen viralen und wirtszellulären Ionenkanälen zu untersuchen.
Das Projekt von Dr. Aparna Renigunta und Dr. Vijay Renigunta aus Marburg sowie Prof. Dr. John Ziebuhr und Dr. Ramakanth Madhugiri aus Gießen konzentriert sich auf die Auswirkungen von Viroporinen auf Ionenkanäle in Zellen von Lungen- und Nierengewebe, die bei einer Coronavirus-Infektion beeinträchtigt werden. In ihrem mit 146.647 Euro geförderten Gemeinschaftsprojekt wollen sie herausfinden, wie diese Viren die Ionenkanäle in diesen Geweben beeinflussen. Da etwa 19 % aller von der FDA zugelassenen Medikamente Ionenkanalmodulatoren sind, könnte diese Forschung neue Ansätze für die Behandlung von Coronavirus-Infektionen aufzeigen. Insbesondere könnten bereits zugelassene Ionenkanalmodulatoren als sichere Therapien für die Behandlung von Coronavirus-Infektionen genutzt werden.
Patientinnen und Patienten mit Schizophrenie leiden häufig unter auditorischen Halluzinationen und haben Schwierigkeiten, zwischen eigenen Handlungen und denen anderer zu unterscheiden. In ihrem Kooperationsprojekt möchten Prof. Dr. Bianca van Kemenade aus Gießen und Dr. Yifei He aus Marburg die zugrunde liegenden Mechanismen dieser Symptome untersuchen. Dazu setzen sie eine Kombination aus multivariaten Analysen neuronaler Daten sowie verhaltensbasierten und neuronalen Modellierungsstrategien ein. Das Ziel ist, tiefere Einblicke in die krankheitsbedingten Prozesse zu gewinnen und neue Ansätze für eine verbesserte Behandlung der Schizophrenie zu entwickeln. Das Gemeinschaftsprojekt wird mit 199.288 Euro gefördert.
Etwa 80 % der Krebspatienten im fortgeschrittenen Stadium leiden an Kachexie, einem schweren Gewichtsverlust, bei dem Tumorzellen den Stoffwechsel gesunder Zellen des Patienten verändern. Diese Krebserkrankung beeinträchtigt nicht nur die Lebensqualität, sondern verringert auch die Erfolgsaussichten einer Therapie. Jeder vierte Krebspatient stirbt direkt an den Folgen der Kachexie. Trotz dieser enormen Belastung existieren derzeit keine spezifischen Therapiemöglichkeiten.
In ihrem Projekt erforscht Dr. Katja Rust aus Marburg mit Hilfe eines Tumormodells in der Fruchtfliege sowohl die Entstehung von Tumoren als auch die Ursachen der Kachexie. Zusätzlich erforscht sie mögliche therapeutische Ansätze zur Behandlung der Kachexie. Das Forschungsvorhaben wird mit 185.610 Euro unterstützt.
* pm: Von-Behring-Röntgen-Stiftung, Marburg