Ernährung für Europa: Marburger Aktionsplan für zukunftsfeste Ernährungssysteme veröffentlicht

Aktive des „kollektivs von MORGEN“ und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Hessen (AbL Hessen) präsentierten am Dienstag (20. Februar) den „Marburger Aktionsplan für zukunftsfeste Ernährungssysteme“. Er wurde an den Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies und Landrat Jens Womelsdorf überreicht.

Der Aktionsplan wurde zusammen mit der Agricultural Rural Convention (ARC2020) und weiteren Initiativen entwickelt. An Beispielen aus ganz Europa wird gezeigt, wie krisenfeste Lebensmittelversorgung regional, ganzheitlich und nachhaltig gestaltet werden kann. „Die Wut der Landwirt*innen in den letzten Wochen zeigt, dass es ein mutiges Umdenken in unserem Ernährungssystem braucht“, sagte der hessische ABL-Geschäftsführer Oliver Diehl, „Landwirt*innen, die oft unter ihren Produktionskosten ihre Produkte verkaufen müssen, die keinen Inflationsausgleich erhalten und die mit einer überbordenden Bürokratie konfrontiert sind, sind zurecht verärgert“.

„Der Aktionsplan liefert viele konkrete Ansätze, die Antworten auf diese aktuellen Fragen enthalten. Er nimmt aber auch die Klimakrise und die damit verbundenen sozialen Herausforderungen ernst“, erläuterte Diehl. Anhand von sechs Zielen wie unter annderem der Re-Lokalisierung und Diversifizierung, Zusammenarbeit für lokale Wertschöpfung, die Gestaltung von nachhaltigen Lebensmittelmärkten und dem Zugang zu Land und Gemeingütern zeigt er konkrete Lösungsansätze und bereits existierende Beispiele auf.

Erarbeitet wurde der Aktionsplan von über 100 Teilnehmenden aus 17 Ländern, die ihr Fachwissen aus allen Bereichen des Ernährungssystems im Rahmen des Kongresses „Unsere Ernährung in die Hand nehmen! Gemeinsam resiliente Ernährungssysteme gestalten“ im November im Technologie und Tagungszentrum (TTZ) einbrachten. Der Aktionsplan soll Menschen aus Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung als Inspiration dienen und Mut zum Handeln machen.

Am „LebensMittelPunkt Wehrda“ – einem Projekt des „Ernährungsrats Marburg und Umgebung“, an dem der Aktionsplan vorgestellt wurde – wird deutlich, wie beherztes Handeln aussehen kann. Die Bedeutung von Regionalität und Nachhaltigkeit, aber auch von Ernährungsbildung und sozialem Miteinander zeigt sich ganz praktisch, wenn es um das wohnortnahe Bestellen eines Saisonbeetes oder Einkochen von Aufstrichen aus klimaschonenden und bodenverbessernden sowie gesunden Hülsenfrüchten geht.

Am Treffpunkt selbst entsteht gerade ein Abholort für Erzeugnisse von Kleinbäuerinnen und -bauern, sowie handwerklichen Lebensmittelerzeugerinnen und -erzeugern aus nächster Nähe. Solche Zentren für Bildung, regionale nachhaltige Lebensmittelversorgung und Gemeinschaftsaktivitäten empfiehlt der Aktionsplan für jeden Stadtteil. Nicht nur in Marburg.

Aber auch hier zeigen sich die Hürden für lokale Projekte der Ernährungswende aufgrund bestehender EU- und Bundesgesetze: „Die Vorgaben für landwirtschaftliche Flächen machen es für Nachbarschaftsprojekte wie unserem nicht immer leicht. Zum Beispiel ist das Aufstellen eines Gewächshauses, das wir für die breite Versorgung mit frischem, wohnortnahem Gemüse brauchen, hier nicht ohne weiteres möglich.” sagte Acker-Koordinatorin Melissa Roth vom „LebensMittelPunkt Wehrda“.

„Im Nahrungsmittelbereich hängt alles mit allem zusammen: Landwirtschaft und Ernährung können nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Und hier braucht es Ideen und konkrete Politik: Dafür müssen alle zusammenarbeiten: Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft – von Marburg bis zur EU“ fasste Ann-Marie Weber vom „kollektiv von MORGEN“ die Komplexität von Ernährungssystemen zusammen.

„Der Marburger Aktionsplan ist eine wegweisende Initiative für nachhaltige Ernährungssysteme in Europa. Er betont die Bedeutung des Engagements aller Beteiligten für einen Wandel hin zu regionalen, ganzheitlichen und nachhaltigen Ansätzen, die auf Gesundheit und Wohlbefinden von Mensch und Umwelt ausgerichtet sind. Der Aktionsplan ist eine Einladung zum Handeln und zur gemeinsamen Gestaltung resilienter Ernährungssysteme vor Ort. Ich freue mich sehr, dass wir für dieses Projekt Gastgeberstadt sein durften“, sagte Spies. Er bedankte sich bei allen Beteiligten.

„Zu vielen der Zielsetzungen leisten wir als Kreisverwaltung bereits zahlreiche Beiträge. Dementsprechend gern haben wir auch den Kongress im vergangenen Jahr unterstützt. Nun werden wir auf Grundlage des Aktionsplans schauen, inwieweit wir hierzu weitere Möglichkeiten im Rahmen unserer Kompetenzen finden“ fügte Womelsdorf hinzu.

Auch die Bundesregierung hat erkannt, dass ein Wandel notwendig ist. Sie hat eine Ernährungsstrategie mit ähnlicher Stoßrichtung herausgegeben. Heute wurde der Abschlussbericht des „Bürgerrats Ernährung im Wandel“ an den Bundestag übergeben. Dass der Wandel aber auf vielfältige Weise bereits stattfindet – und zwar durch lokale und regionale Kooperationen zwischen Bauern, Verarbeitern, Handel, Konsumenten, Politik und Verwaltung – das zeigt der Marburger Aktionsplan. „Der übrigens nicht nur für Marburg gilt,“ wie Weber ergänzte, „sondern dazu aufruft, sich inspirieren zu lassen, die Ideen an den eigenen Kontext vor Ort anzupassen, Kooperationspartner:innen zu suchen und in die Umsetzung zu gehen.“

* pm: kollektiv von MORGEN

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