Nach gut einer Stunde war alles vorbei. Das Amtsgericht Marburg setzte die Strafverfolgung von vier Klima-Aktiven der „Letzten Generation“ aus.
Wegen des Vorwurfs der Nötigung standen vier Aktive der „Letzten Generation“ am Montag (1. Dezember) in Marburg vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft warf ihnen vor, sich am Montag (13. Februar) am Rudolphsplatz auf die Straße gesetzt und damit Autofahrerinnen und Autofahrer gewaltsam am Weiterfahren gehindert zu haben. Zwei der vier Angeklagten hatten dabei ihre linke Hand am Asphalt festgeklebt.
Mit ihrer Aktion atten die von der Bundesregierung ernsthafte Schutzmaßnahmen gegen die Klimakrise gefordert. Diesen Forderungen hatte sich die Stadt Marburg im März angeschlossen. In ausführlichen Stellungnahmen erklärten die vier Angeklagten dem Gericht ihre Beweggründe für die Protestaktion.
Zunächst war die öffentliche Verhandlung jedoch in einen größeren Gerichtssaal verlegt worden. Auch er bot nicht allen Interessierten ausreichend Platz. Bereits eine halbe Stunde vor dem Verhandlungstermin hatten sich draußen vor dem Gerichtsgebäude gut 30 Menschen zu einer Mahnwache gegen die Kriminalisierung von Klimaprotesten aufgestellt.
Drinnen im Saal begann es dann mit einem Lied aus der 1848er Revolution. Vier Personen waren aufgestanden und hatten drei Strophen des historischen Texts gesungen. Der Richter kam daraufhin auf die Zuschauenden zu und forderte die Sinenden auf, still zu sein.
Ein Fünfter Sänder, der sich den vieren angeschlossen hatte, befolgte die Aufforderung. Die anderen vier sangen weiter. Daraufhin verwies der Richter sie des Saals, woraufhin vier andere Personen die frei gewordenen Plätze im Publikum einnehmen durften.
Anschließend erklärten alle vier Angeklagten nacheinander ausführlich die Beweggründe für ihre Teilnahme an der Sitzblockade auf dem Rudolphsplatz. Bei allen handelte es sich um Eltern von jungen Erwachsenen, die sich Sorgen machten um die Zukunft ihrer Kinder angesichts der drohenden Klimakatastrophe. Alle vier prangerten das geringe Handeln der Bundesregierungen seit der Kanzlerschaft von Helmut Kohl an.
Die erste Rednerin berichtete von ihrem persönlichen Lebensstil mit sparsamen Energie- und Ressourcenverbrauch, den sie auch ihrer Tochter vermittelt habe. „Zu Zweit haben wir einen geringeren Stromverbrauch als eine durchschnittliche Person“, berichtete sie. „Da können sie die Stadtwerke fragen.“
Mit ihrer Protestaktion habe sie niemanden einschränken oder behindern wollen. „Wenn das der Fall gewesen sein sollte, dann bitte ich dafür um Entschuldigung“, erklärte sie. Die Aktion sei Ausdruck ihrer persönlichen Verzweiflung angesichts des Nichtstuns der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz.
Die zweite Angeklagte berichtete von ihren persönlichen Erlebnissen in Südafrika und Lateinamerika. „Meine südamerikanischen Freunde sagen mir, auch die Propagierung der elektromobilität sei Neokolonialismus“, erläuterte sie. „Früher waren es Kupfer und Zink, heute das Litium für die Batterien, mit denen Ihr Europäer bei uns Raubbau treibt.“
Sie erzählte von zunehmenden Dürren und Überschwemmungen in den Ländern des Südens und sagte: „Die Klimakatastrophe liegt nicht in der Zukunft; sie ist längst da.“ Auch in Deutschland sei sie bereits deutlich spürbar beispielsweise bei der Flutkatastrophe im Ahrtal.
Als Sozialarbeiterin habe sie täglich mit Kindern zu tun. Viele von ihnen kämen als Klimaflüchtlinge nach Deutschland. Ihre Zukunft liege ihr ebenso am Herzen wie die ihres eigenen Kindes.
Die dritte Angeklagte arbeitet als Kinderpsychologin. Sie zitierte eine Studie, wonach 59 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen große Sorgen um ihre Zukunft hätten angesichts des fortschreitenden Klimawandels. Sie habe sich den Protesten ihrer drei erwachsenen Töchter angeschlossen, die alle drei in der „Letzten Generation“ aktiv sind.
„Der Staat hat die Pflicht zum Schutz gerade der Kinder und Jugendlichen“, fordete sie. Dieser Pflicht komme die Bundesregierung nicht in ausreichender Weise nach. Statt wirksame Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen, würden Klimaproteste kriminalisiert.
Die Sitzblockade auf dem Rudolphsplatz bezeichnete sie als friedliche disruptive Aktion. Solche Aktionen seien notwendig, da weniger wirkungsvolle Proteste bislang nicht wirklich geholfen hätten. Gewalt sei von dieser Protestaktion zu keinem Zeitpunkt ausgegangen.
„Ich bin in der DDR aufgewachsen“, berichtete sie. „Als Schülerin bin ich dort politisch verfolgt worden. Hier kann ich demonstrieren und erwarte, dass mein Demonstrationsrecht auch geschützt wird.“
Als Letzter sprach der Leuchtfeuer-Preisträger Stefan Diefenbach-Trommer über seine Motivation. Bereits als Schüler habe er mit einem Freund ein System für CO2-Konten erdacht; geschehen sei seither aber fast nichts. Mit der Vernachlässigung des Klimaschutzes
Aus seinem jahrzehntelanen Engagement in verschiedenen Organisationen für Umweltschutz und eine Verkehrswende wisse er, dass man mit friedlichen Aktionen in Deutschland etwas bewegen könne. Das dauere jedoch oft sehr lange. Beim Klimawandel müsse das Umsteuern aber sofort erfolgen, um künftige Generationen nicht unmäßig zu belasten.
„Das Nichtstun ist eine Gefahr für die Demokratie“, erklärte er. „In einem Staat, wo die Entscheidungsräume durch den notwendigen Klimaschutz so massiv eingeschränkt sind, möchte ich nicht leben. Den möchte ich auh meinen Töchtern nicht zumuten.“
Alle vier Angeklagten gaben freimütig zu, dass sie am 13. März um 7.40 Uhr bei einer Grünphase vor wartenden Autos auf die Universitätsstraße gegangen waren und sich dort hingesetzt haben. Dabei hätten sie eine Rettungsgasse von vornherein mit eingeplant. Die Polizei habe ihre – nicht angemeldete – Demonstration auch als solche anerkannt, berichtete Diefenbach-Trommer.
„Als die Polizei die Demonstration dann aufgelöst hat, stand gar kein Auto mehr da, weil die Polizei längst verkehrslenkende Maßnahmen ergriffen hatte“, berichtete er. „Wir können da also gar keinen mehr genötigt haben.“ Ohnehin hielten einige der Beteiligten das Warten von Autos im morgendlichen Berufsverkehr angesichts des Sterbens von Menschen an Klimafolgen für ein verhältnismäßig geringeres Problem, das durchaus hinnehmbar erscheine.
Nachdem alle vier Angeklagten ausführlich geredet hatten, schlug der Richter ein Einigungsgespräch im Richterzimmer vor. Lange mussten die Interessierten im Gerichtssaal nicht warten, bis er das Ergebnis verkündete. Obwohl der Richter zuvor dem Publikum verboten hate, zu applaudieren, gab es dann aber doch allseitigen Applaus.
Die Strafverfolgung wird auf sechs Monate ausgesetzt. In dieser Zeit müssen die vier Angeklagten nachweisen, dass sie dem BUND für Umwelt Hessen 250 Euro gespendet haben. Ist diese Zahlung erfolgt, wird das Verfahren gegen die Betreffenden endgültig eingestellt.
* Franz-Josef Hanke