Und Obdach: Kirchlicher Aktionstag gegen Wohnungslosigkeit

Das Diakonische Werk Marburg-Biedenkopf und die Lutherische Pfarrkirche Marburg haben am Sonn“tag (11. September) eine Veranstaltung zum „Tag der Wohnsitzlosen“ auf die Beine gestellt. Auf dem Lutherischen Kirchhof gab es dazu Aktionen und Informationen.
Wie würden wohnungslose Menschen gerne leben? Das Diakonische Werk Marburg-Biedenkopf hat den nationalen „Tag der Wohnungslosen“ am Sonntag (11. September) genutzt, um die Aufmerksamkeit auf Menschen ohne Obdach oder in schwierigen Wohnverhältnissen zu lenken. Ziel dabei war nicht nur, ein breites Bewusstsein für dieses Thema in der Bevölkerung zu schaffen, sondern auch, Lösungsansätze vorzustellen und eine Diskussion zu ermöglichen.
Den Auftakt zu den Aktionen auf dem Lutherischen Kirchhof bildete ein Freiluftgottesdienst, den Diakoniepfarrer Sven Kepper und Pfarrer Ulrich Biskamp von der Lutherischen Pfarrkirche gemeinsam gestalteten. Auf deren Gelände steht bereits seit Juni ein Wohncontainer, der normalerweise Obdachlosen Schutz gewährt. Im Rahmen des Stadtjubiläums „Marburg800“ dient er als Dauerausstellung, um Menschen über das Thema Wohnsitzlosigkeit zu informieren.
Der Gottesdienst fand direkt daneben statt. Sowohl den Container als auch die Pfarrkirche hatten die knapp 40 Besucherinnen und Besucher dabei immer im Blick.
Wie sehr das Verhalten gegenüber einem Mitmenschen auch von dessen Äußeren bestimmt wird, verdeutlichte Pfarrer Biskamp mit einer Anekdote über einen Pfarrer, der sich in seiner neuen Gemeinde zunächst als Obdachloser ausgegeben hatte. Niemand außer einem Kind hatte ihn begrüßt oder ihm Geld gegeben, als er vor dem Eingang der Kirche gesessen hatte, in der Kirche war er gebeten worden, sich auf einen der hinteren Plätze zu setzen, bevor der Gottesdienst begann.
„Es wird weggeschaut, geschwiegen, geknausert und des Platzes verwiesen“, stellte Biskamp fest. Und das geschehe, obwohl Gott selbst wohnungslos sei und den Wohnungslosen ganz nah.
Oft seien es Kinder, die mit Neugier und Empathie auf Obdachlose zugehen, die verstehen und helfen wollen. Deshalb trug der Gottesdienst auch den Titel eines portugiesischen Kinderbuchs zu diesem Thema als Motto. Er lautet: „Kein Bett in der Nacht“.
„“Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege“, zitierte Biskamp das Matthäus-Evangelium. Bereits in der Bibel sei ein klarer Auftrag gegeben: „Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne Obdach sind, führe ins Haus!“ Diaokoniepfarrer Sven Kepper verwies auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, um diesen Auftrag zu bekräftigen.
Im Anschluss daran stellten Selina Lutz und Dr. Stephanie Weiss von der Hochschule Luzern die Ergebnisse zu ihrer Umfrage „Kleinwohnformen – Wohn-
und Lebensraum mit Potenzial?“ vor. 38 wohnungslose Menschen hatten dafür ihre Wünsche und Vorstellungen geäußert unter anderem zu Fragen nach Platzbedarf, Wohnqualität, Standort, Wohndauer, Infrastruktur und Mitbewohnern. Das sei sicher keine repräsentative Umfrage, jedoch seien Tendenzen erkennbar. So wolle beispielsweise der überwiegende Teil der Personen lieber allein wohnen. Die beiden Mitarbeiterinnen der Luzerner Hochschule zeigten unterschiedliche Kleinwohnformen auf, darunter auch Container, Fahrzeuge und Jurten.
In der nachfolgenden Podiumsdiskussion mit Moderator Micha Brandt stellten sich die beiden Frauen gemeinsam mit Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies, Geschäftsführer Matthias Knoche von der GeWoBau Marburg und Jens Schneider von der Wohnungsnotfallhilfe des Diakonischen Werks den Fragen des Publikums. Dazu gehörten an jenem Tag auch etliche von Wohnungslosigkeit betroffene Männer und Frauen.
Ein großer Diskussionspunkt waren auch die Obdachlosenunterkünfte im Ginseldorfer Weg. Offenbar geht die Planung derzeit in Richtung Renovierung statt Abriss.
Spies verdeutlichte zudem, dass jeder wohnungslose Marburger einen gesetzlichen Anspruch auf ein Dach über dem Kopf habe. Voraussetzung sei, dass der Betroffene sich bei der Stadtverwaltung melde. „Wir haben den Anspruch, niemanden auf der Straße leben zu lassen, der das nicht möchte“, erklärte der Oberbürgermeister.
Zur Frage nach neuen Wohnformen für obdachlose Menschen, wünschte er sich ein „Möglichst buntes Angebot, das zu denen passt, die dort einziehen“. Auch Knocheplädierte dafür, die vielfältigen und individuellen Bedürfnisse mit Kleinwohnformen umzusetzen. Er gab allerdings zu bedenken: „Du wirst nicht jedes Problem rechtzeitig lösen.“
Zur Frage nach einer Zukunftsvision meinte Schneider am Ende der Diskussion: „Ich glaube wir kommen zu besseren Ergebnissen, wenn wir alle miteinander reden.“ Genau dieses Ziel hatte auch die Veranstaltung am Sonntag (11. September). Mit Kaffee, Kuchen, Bratwurst und Salaten konnten sich die Anwesenden bei der zum Teil hitzigen Diskussion stärken.
Für die musikalische Unterhaltung sorgte zum Abschluss die Band „Jazz Art Connection“. „Beeindruckend war, wie es das Team der Tagesanlaufstätte verstanden hat, eine Atmosphäre der Offenheit zu schaffen, die es den zahlreich erschienen Wohnsitzlosen und Betroffenen ermöglichte, Ihre Bedürfnisse zu äußern und zu erklären“, resümierte Dekan von Dörnberg. „Gerade die kleinen Begegnungen mit Würstchen und Gespräch waren eine gute Gelegenheit, Distanzen zu überbrücken.“
Das Diakonische Werk kann dank Spendengeldern seit Januar 2021 zwei Wohncontainer als Notunterkunft zur Überlebenssicherung bereitstellen. Diese Plätze sind auch fast durchgängig belegt. Ein baugleicher Container ist als Ausstellungsstück noch bis Freitag (30. September) auf dem Lutherischen Kirchhof zu sehen.

* pm: Evangelischer Kirchenkreis Marburg

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