Die Kogge: Das Elend der Sozialdemokratie ersäufen

Einige Jahre lang gehörte „Die Kogge“ zu meinen Stammlokalen. Sie befand sich an der Frankfurter Straße im Südviertel.

In dem Gebäude Frankfurter Straße 14a befindet sich heute die Pasta-Manufaktur „Nero“. Während sie ein ruhiges Speiselokal ist, war „Die Kogge“ eine Kneipe mit kleiner Speisekarte. Dort trafen sich neben Studentinnen und Studenten auch die Intellektuellen aus dem Südviertel. War das „Quodlibet“ einige Meter stadteinwärts auf der gegenüberliegenden Straßenseite das Stammlokal der „Marxistischen Gruppe“ (MG) und der „schwarze „Walfisch“ am
Rudolphsplatz
die Stammkneipe der DKP und ihres Umfelds, so galt „Die Kogge“ als SPD-Kneipe. Allerdings trafen sich in der „Kogge“ eher die SPD-Linken und Jusos, während die Altvorderen der Marburger SPD Ende der 70er und Anfang der 80er ein Stück weiter stadtauswärts in der „Linde“ auf der anderen Straßenseite speisten. Außerdem war „Die Kogge“ nicht so eindeutig von Sozialdemokraten dominiert wie der „Wal“ von Anhängerinnen und Anhängern des „real existirenden Sozialismus“.
In der „Kogge“ waren die Diskussionen darum auch undogmatischer und offener. Das Bier floss hier aber genauso in Strömen wie in den anderen Stammkneipen der politischen Parteien und Gruppen. Weltschmerz gab es auch hier zur Genüge, den viele mit reichlich Bier zu betäuben versuchten. Der Gastraum war rustikal. Holzbänke standen an den Wänden. Gegenüber standen Holzstühle an den Tischen, wie sie auch im „Anker“ am Steinweg und dem „Wal“ sowie etlichen anderen Kneipen zu finden waren.
Ebenso wie in vielen dieser Kneipen war der Fußboden auch in der „Kogge“ aus Stein. Für die Reinigung ist das überaus praktisch in Lokalen, die ihren größten Umsatz mit alkoholischen Getränken erzielen. Die meisten Marburger „Linken“ liebten damals heiße Diskussionen und kühles Bier.
Wann immer ich abends in die „Kogge“ kam, konnte ich damit rechnen, dort den sozialdemokratischen Stadtverordneten Wolf Steinmeier anzutreffen. Häufig begegnete ich ihm und seiner Kritik an der politischen Linie des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, aber natürlich nicht immer. Sicherlich war ich weitaus seltener in der „Kogge“ als Rechtsanwalt Steinmeier. Eines Abends im Jahr 1982 setzte sich ein Unbekannter zu mir an den Tisch. Er gab sich als Rechtsanwalt aus und nannte einen Namen, den ich auch schon einmal gehört hatte. Er stellte Fragen zur Hausbesetzerszene, die ich jedoch nicht beantworten konnte oder wollte.
Als er gegangen war, fragte mich jemand, was „der Zivilbulle“ denn von mir gewollt habe. Da wurde mir klar, warum der Unbekannte mit der Sonnenbrille mich so lange ausgefragt hatte. Allzuviel Erfolg hatte er dabei freilich nicht. Viele Jahrzehnte lang hat „Die Kogge“ an der Frankfurter Straße sich regen Zuspruchs erfreut. 1987 turtelte ich dort mit einer lieben Kollegin, die aber nur für kurze Zeit meine Freundin wurde. Viele schöne und besondere Erinnerungen sind mit der „Kogge“ verknüpft, weshalb sie für mich zu den legendären Lokalen in Marburg gehört.

* Franz-Josef Hanke

Kommentare sind abgeschaltet.