Gut 4.000 Menschen haben am Samstag (26. Februar) an Meiner Mahnwache für den Frieden teilgenommen. Sie forderten ein sofortiges Ende des Kriegs in der Ukraine.
Mit Masken und Abwar der Schriftzug standen die Menschen auf dem gesamten Gelände zwischen dem Erwin-Piscator-Haus (EPH) und dem Hörsaalgebäude sowie die Biegenstraße entlang bis vor das Kunstmuseum. Einige trugen Plakate in ukrainischer oder russischer Sprache. Auf einem Banner stand „Russians for Peace“ zu lesen.
„Frieden ist nicht alles; aber ohne Frieden ist alles nichts“, zitierte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies den einstigen Bundeskanzer Willy Brandt. Der Einmarschbefehl des russischen Präsidenten Vladimir Putin ins Nachbarland Ukraine sei Ausdruck der „Größenphantasie eines zutiefst frustrierten Mannes aus einer alten – längst überkommen geglaubten – Zeit, erklärte er. Dieser Krieg sei durch nichts zu rechtfertigen.
„76 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist wieder Krieg in Europa“, sagte Spies. „In dieser Stunde hageln Schüsse, detonieren Granaten in den Straßen von Kiew; und die Menschen verstecken sich in den Bunkern und den U-Bahnschächten.“ Dabei habe er noch vor wenigen Wochen geglaubt, so etwas sei in Europa heute unmöglich.
Der Überfall Putins auf das Nachbarland sei kein Krieg der Russinnen und Russen gegen Ukrainerinnen und Ukrainer, sondern ein Verbrechen. Es sei „der Krieg eines Diktators und seiner Nomenklatura, denen das Schicksal der Menschen – egal wo sie leben – gleichgültig ist“, betonte der Oberbürgermeister und großem Beifall. „Krieg kennt keine Sieger. Krieg kennt nur Verlierer – auf beiden Seiten.“
Spies kündigte an, dass sich die Stadt Marburg auf die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine vorbereite. An den neuen Universitätspräsidenten Prof. Dr. Thomas Mauss gewandt, versprach er, Lösungen für Studierende aus der Ukraine zu finden, die jetzt nicht – wie ursprünglich geplant – in ihr Land zurückkehren könnten.
Anschließend erinnerte sich Stadtverordnetenvorsteherin Dr. Elke Neuwohner an ihre Begegnungen als Studentin mit Frauen in St. Petersburg. Diese Frauen seien ihr als damals junge Mutter von zwei Söhnen mit Mitleid begegnet, „denn für sie war ganz präsent, dass Söhne einer Mutter verloren gehen, weil sie zur Armee müssen, weil sie in den Krieg müssen und danach als gebrochene Menschen zurückkommen“. Ihr sei dieser Gedanke fern gewesen, denn „ich bin –
wie die meisten – mit der trügerischen Gewissheit aufgewachsen, dass für immer Frieden in Europa sein würde“.PD Wir waren uns zu wenig bewusst, was das für ein Luxus ist. Ein europäischer Luxus.“
Für das Marburger Bündnis „Nein zum Krieg“ erklärte Dr. Anne Maximiliane Jäger-Gogoll: „Kriege gehen überall und immer auf Kosten der Zivilbevölkerung, es sind die Schwächsten, die am meisten unter ihnen leiden. Wir sind erschüttert, die Menschen zu Tausenden vor den Kriegshandlungen aus der Ukraine fliehen zu sehen.“
Unmut machte sich jedoch breit, als sie auch das Fehlverhalten westlicher Politik gegenüber Russland auflistete. Mit jedem Satz, in dem sie das Heranrücken der NATO an Russland kritisierte, wurden die Rufe aus dem Publikum lauter, die sie zum „Aufhören“ aufforderte.. „Ich bin noch nicht ferttig“, sagte Jäger-Gogoll, um dann beim nächsten Satz doch den noch lauteren Rufen nach einem Ende ihrer Rede nachzugeben und von der Bühne herabzusteigen.
„Diese Fragen müssen irgendwann geklärt werden“, sagte Oberbürgermeister Spies. „Doch jetzt ist nicht die Zeit dafür.“ Für diese Klarstellung erhielt Spies tosenden Applaus.
Mit einer spontanen Rede trat Svitlana Dyachenko vom Deutsch-Ukrainischen Verein Marburg daraufhin auf die Bühne. Sie ist das Kind eines ukraiisch-russischen Elternpaars. Für sie seien beide Sprachen „Muttersprache und Vatersprache“ und beide Länder ihre „Heimat“.
Sie berichtete von ihren Anrufen bei Verwandten an der russisch-ukrainischen Grenze. Noch Stunden vor dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hätten sie nicht gelaubt, dass das passieren könnte. Nun säßen sie gefangen im einzigen Keller des Dorfs und fürchten sich.
Nachdem die Lebensmittelvorräte auszugehen drohten, hätten sie eine alte Mühle wieder in Betrieb genommen, um wenigstens Brot als Nahrungsmittel zu haben. Alte und Kinder fürchteten sich. Viele Verwandte lebten wenige Kilometer hinter der Grenze nach Russland und hätten nun keinen Kontakt mehr zu ihnen.
Russen und Ukrainer seien keine Gegner oder Feinde, sondern oft miteinander verwandt. „Die Sehnsucht der Menschen nach Frieden ist stärker als ein kriegstreibender Diktator“, rief Dyachenko. Sie forderte die Menschen auf, die Gasheizung herunterzudrehen und damit direkt an dem Geldzufluss für die russischen Oligarchen zu drehen.
Alle Rednerinnen und Redner bekundeten ihren Respekt mit den vielen Menschen in Russland, die sich gegen diesen Krieg gewandt haben. Das sei umso bemerkenswerter, weil ihnen empfindliche Folgen drohen. Darum lobten Spies und Neuwohner ganz besonders den Mut dieser Menschen, die dem Diktator Putin die Stirn bieten.
Ein Präsident, in dessen Land so viel Armut und Korruption herrscht wie in Russland, sollte sich um diese Probleme kümmern, statt ein Nachbarland zu überfallen“, forderte Propst Dr. Volker Mantey von der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck. „Viel zu lange haben wir überhört, wie Menschen in Russland und in der Ukraine vor genau diesem Krieg gewarnt haben.“
Am Ende der Kundgbung wurden Kerzen verteilt, die an einer großen Kerze in den ukrainischen Farben angezündet wurden.
* Franz-Josef Hanke
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