Der Krieg ist Gewohnheit geworden. Noch ist er glücklicherweise aber weit weg.
Am 24. Februar 2022 haben russische Truppen das Nachbarland Ukraine angegriffen. Die Hoffnung des russischen Präsidenten Vladimir Putin auf einen schnellen Sieg hat sich glücklicherweise nicht erfüllt. Tragischerweise ist jedoch auch ein Jahr nach Kriegsbeginn kein Ende des verbrecherischen Angriffskriegs in Sicht.
Bereits am 26. Februar 2022 hatten vor dem Erwin-Piscator-Haus (EPH) gut 4.000 Menschen gegen den Krieg demonstriert. Schon damals zeigten sich erste Risse in der Front der „Friedensfreunde“. Während die Mehrheit ihre Solidarität mit der Ukraine betonten, haderten einige lange mit möglichen Fehlern des Westens im Vorfeld des Waffengangs.
Seither haben sich „Offene Briefe“ und „Aufrufe“ mal gegen Waffenlieferungen an die Ukraine gewandt und sich für eine rasche diplomatische „Lösung“ ausgesprochen, mal mehr und schlagkräftigere Waffen gefordert und ein schnelleres Handeln der Bundesregierung. Differenzierte Betrachtungen bleiben angesichts dieses Kriegs leicht auf der Strecke, muss sich doch jede und jeder die Frage gefallen lassen, auf wessen Seite sie oder er in diesem Krieg steht. Das moralische Dilemma dabei ist, dass genau diese Kriegslogik mit ihrem Zwang zu eindeutigen Positionierungen friedliche Positionen massiv erschwert.
Wer sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine wendet, der begibt sich damit – meist unfreiwillig – auf die Seite der Angreifer und des russischen Diktators Putin. Wer sich für Waffenlieferungen ausspricht, der unterwirft sich damit der Logik des Kriegs und dem damit verbundenen Druck, zu töten, um nicht getötet zu werden. Wer in Deutschland derzeit diplomatische „Lösungen“ einfordert, der leugnet damit nicht nur die absolute Ignoranz der russischen Angreifer gegenüber dem internationalen Völkerrecht und ihre Kriegsverbrechen, sondern setzt sich damit paternalistisch auch über das Selbstbestimmungsrecht des ukrainischen Volks hinweg.
Deutsche Besserwisserei braucht dieser Krieg nicht. Wie viele deutsche Waffen er vertragen kann und unbedingt benötigt, das muss die Bundesregierung sorgsam abwägen Allerdings muss sie diese Entscheidungen rasch und leise treffen.
Unter Druck setzen lassen sollte sie sich dabei jedoch nicht. Wenn ukrainische Politiker öffentlich Kampfjets fordern, dann ist das zwar verständlich angesichts ihrer Not, aber nicht klug. Der diplomatische Weg sollte der einzige Kanal sein, auf den die Regierenden in Berlin hören.
Ukrainische Forderungen nach Streumunition und Phosphorbomben sind ebenfalls kontraproduktiv. Wer derart völkerrechtswidrige Waffen verlangt, der erklärt sich damit selbst zur unseriösen Adresse, der man keine Waffen anvertrauen darf. Wer sofort Flugzeuge fordert, kaum dass er Panzer zugesagt bekommen hat, der kann kaum auf künftiges Entgegenkommen hoffen, da er sich damit undankbar und gierig zeigt.
Die Bevölkerung muss die Menschen aus der Ukraine unterstützen, die nach Deutschland gekommen sind. Inzwischen sollen eine Million Menschen aus der Ukraine in Deutschland sein. Mehr als 1.000 von ihnen leben in Marburg.
Auch Oppositionelle und Deserteure sowie Kriegsdienstentzieher aus Russland müssen in Deutschland Schutz erhalten. Wer sich egen den Diktatur Putin stellt, der braucht dafür nicht nur Mut, sondern auch Unterstützung. Sein Handeln ist mindestens genauso schutzwürdig wie das der Geflüchteten aus der Ukraine.
Ihnen allen tut die ukrainische Regierung keinen Gefallen, wenn sie öffentlich Waffen einfordert. Die Diplomatie ist nicht ohne Grund seit Jahrhunderten eher diskret vorgegangen, wenn es um heikle Themen ging. Das sollte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj berücksichtigen, wenn er sich im Westen öffentlich inszeniert.
Deutschland ist keine Kriegspartei und darf auch keine werden. Waffenlieferungen sind nur dann vertretbar und möglich, wenn sie nicht unter öffentlichem Druck erpresst worden sind. Solidarität ist nichts, was man erzwingen kann, sondern etwas, was freiwillig geleistet werden sollte.
Die Solidarität mit der Ukraine ist indes nötig und unabwendbar. Wenn Putin ein Sieg über die Ukraine gelänge, dann stünden seine Truppen bald bereits in Warschau, Riga oder Prag. Die Kinder und Frauen aus der Ukraine wie auch ihre Männer haben das Mitgefühl der Menschen in Marburg mehr als verdient, weil sie unter dem Terror eines brutalen Massenmörders und seiner willigen Vasallen leiden.
Wahrscheinlich werden sie noch mehrere Monate ausharren müssen oder vielleicht sogar Jahre. Enden wird dieser verbrecherische Krieg wahrscheinlich erst, wenn der Kriegstreiber Putin tot ist. Trotzdem mag man der Ukraine mit ganzem Herzen ein möglichst baldiges Kriegsende wünschen.
* Franz-Josef Hanke