Wir sitzen erneut im Behandlungszimmer von Dr. K. Dies ist ein lichtdurchfluteter, freundlicher Raum, mit ein paar großen Grünpflanzen.
Im zweiten Teil des Gesprächs von Anna Katharina Kelzenberg mit dem Marburger Psychotherapeuten geht es um Corona und die psychologischen Folgen von zwei Jahren Pandemie für Frauen und ihre Familien. Im ersten Teil hatte K. die psychologischen „Gründe“ für Corona-kritisches Verhalten dargestellt.
akk: „Welche Probleme haben Sie in Familien als besonders beachtenswert in der Pandemie wahrgenommen?“
Dr. K.: „Die beeindruckendsten Fälle aus der Pandemie Zeit, warenn für mich die Familien. Da ist die junge Mutter Ende 20, Akademikerin ebenso wie ihr Mann mit zwei Kindern deren Leben schon vor Corona bis ans Limit durch geplant war, Arbeit Haushalt, Kinder, Freunde Hobbys, Freunde der Kinder, Hobbys der Kinder, Besuche bei Eltern und Großeltern und dann auch noch als Paar Zeit füreinander finden damit die Romantik und die Liebe die ja mal Grund für all dies war im Alltag nicht verloren geht.“
Ständige Überforderung, Schlafstörungen und vor allem anhaltende Freudlosigkeit waren die Gründe, warum die junge Frau sich bei Dr. K. in Therapie begab. Weil sie weder ihrer beruflichen Karriere noch ihre Familie gerecht zu werden schien. Dr. Klemm sieht das sehr kritisch.
„Wie meistens auch in diesem jungen Beziehungen, war der Mann nur ein paar Monate in Elternzeit und im Alltag fällt auch der Großteil der Familienarbeit der Frau zu, während der Mann sich seiner akademischen Laufbahn widmen kann und deshalb daraus auch mehr Bestätigung zieht. Dieses fragile, familiäre Modell wurde natürlich mit dem ersten Lockdown erheblich ins Wanken gebracht. Kita und Schule waren geschlossen Freizeitangebote gab es nicht mehr. Beide waren im Home-Office. Und natürlich nahm der Mann sich die Freiheit auch im Home-Office die Türe zu zu machen, wenn er bei der Arbeit nicht gestört werden wollte die Frau hatte sich gleichzeitig um Kinder, Hund, Haushalt und den anderen Kram zu kümmern plus ihr Erwerbs-Arbeitspensum zu leisten.
Dabei waren sie als Akademikerpaar durch ihren Verdienst ja noch in einer relativ privilegierten Situation. Sie nutzten die Möglichkeit ihre Arbeitsstunden Zahl so zu reduzieren, dass jeder einen freien Tag in der Woche hatte. Das können natürlich Geringverdiener und Arbeitnehmer mit mehreren Minijobs nicht in Anspruch nehmen.
Dessen ist sich die junge Frau durchaus bewusst. Dennoch war die Frustrationstoleranz in der ganzen Familie absolut am Limit. Dinge, auf die man sich früher freuen konnte, wie Ferien bei den Großeltern für die Kinder oder ein gemeinsamer Familien Urlaub im Ausland, fielen ersatzlos weg.“
akk: „Was raten Sie denn Frauen, die so einer Situation hilflos gegenüberstehen und dann weinend bei Ihnen landen?“
Dr. K.: „Nun zuerst mal beziehe ich das gesamte Familiensystem in die Therapie ein. Alle müssen sich als Familie an einen Tisch setzen und die Verantwortlichkeiten und Aufgaben auch an die Kinder gerechter verteilt werden. Es muss für die Mutter ein Freiraum geschaffen werden, der ihr von allen zugestanden wird. Da hilft es auch mal, ein Familiengespräch zu machen und einen Vertrag auszuhandeln. Indem jeder ein bisschen zurück steckt in seinen Bedürfnissen und jeder schaut, was er zum Wohlergehen der Anderen beitragen kann.
Dann muss geschaut werden, wie die Frau trotz des Lockdowns und Corona sich weiterhin Freiräume schaffen kann, um für sich zu sorgen. Und sei es nur ein fester Termin mit Spaziergängen in der Natur, Yoga im Park ein Treffen zum Nordic Walking mit einer Freundin oder ein Kochabend mit ein oder zwei guten Freundinnen, wo es auch mal um andere Themen geht und nicht um die Familie oder den Mann. Dann können natürlich noch körperliche Erholungsaktivitäten hinzu kommen in, wie weit das möglich ist, Sport, Tanzen gehen, sich mal eine Massage gönnen Trotz des Home-Office einen Raum für sich reklamieren, indem die Frau sich ihren Hobbys widmet und in den sie sich zurückziehen darf.
Häufig ist es ja immer noch so, das der Mann einen Hobbyraum oder die garage hat, um sich zurückzuziehen und die Kinder ihre eigenen Zimmer. Nur die Frau kein eigenes Reich für ihre Freizeitgestaltung bekommt. Wo dann auch nicht die Bügelwäsche steht oder die Sachen der Kinder herumliegen. Sondern wirklich nur Raum für ihr eigenens Wohlergehen.
Wenn Frauen dies einfordern, finden andere Familienmitglieder das auch erst mal befremdlich, weil es in der aktuellen Planung von Wohnungen nicht vorgesehen ist, dass auch die Mutter ein eigenes Privatzimmer hat, während dies den anderen Familienmitgliedern selbstverständlich zugestanden wird. Ich habe schon oft die Rückmeldung erhalten, wie heilsam das wirkt und Frauen die sich in der Familien Arbeit selbst aber zurückgesteckt haben, sie erst in diesem klar abgegrenzten Raum überhaupt wieder finden und auch Hobbys von früher wie malen oder musizieren dort wieder aufnehmen.
Des Weiteren kann auch eine Mutter-Kind-Kur sinnvoll sein, um das Familiengefüge auch einfach mal zu entlasten. Oder Großeltern in die Pflicht genommen werden, sofern sie vorhanden sind. Wichtig erscheint mir gerade auch während der Pandemie das Pflegen von Netzwerken. Dass es einen Freundeskreis gibt wo man auch gemeinsam mit den Kindern willkommen ist und etwas unternehmen kann so wie früher in der Großfamilie. Die Pandemie hat deutlich bewiesen, dass die Haupt-Pflege und Care-Arbeit immer noch bei den Frauen liegt und diese in Pflege – und Altenheimen, in Krankenhäusern im Handel, in den Kitas und Schulen die Hauptlast der Pandemie geschultert haben.
Ich plädiere daher immer dafür dass Frauen sich auch während der Mutterschaft weiterqualifizieren und versuchen einen möglichst gut bezahlten Beruf zu ergreifen, der ihn erstems Mal finanzielle Unabhängigkeit garantiert und zweitens, wenn dies nicht möglich ist, auch die Familienarbeit finanziell ausgeglichen wird. Das mag heute oft noch seltsam anmuten. Doch es gibt inzwischen Familienmodelle, in denen die Rentenlücke aus privaten Einkünften bestritten wird, sodass die Erwerbslücke der Frau zumindest später bei der Rente keine Nachteile bedeutet. Das ist noch lange nicht selbstverständlich.
Ich sehe auch psychologisch, dass Väter sowohl als auch ihre Kinder immens davon profitieren, sobald sie mehr Zeit und Energie der Familie widmen. Es stärkt die Bindung und bereichert sie mehr als unsere Vätergeneration das noch gewohnheitsmäßig hat.
Da sind wir noch lange, lange nicht bei der Geschlechtergerechtigkeit angekommen. Wenn man bedenkt, dass 60 % aller Männer immer noch ein Problem damit hätten, wenn die Partnerin mehr verdient als sie. Oder 75 % glauben, eine weibliche Vorgesetzte wäre nicht aufgrund ihrer besseren Qualifikation dorthin befördert worden, sondern wegen Quotenüberlegungen. Da muss ich mich doch auch als Psychologe fragen, wie das so mit unserem Geschlechterbild bestellt ist im 21. Jahrhundert. Wenn es einen Mann das noch so irritiert, wenn er einer Frau, was Macht, Prestige und Finanzen angeht, unterlegen ist. Wenn die Pandemie Etwas wie mit einem Prisma deutlich gemacht hat, dann das.
Da müssten wir ansetzen, auch was die Rollen Bilder für unsere Kinder angeht. Die sollen es ja später für selbstverständlich halten, dass Familienarbeit wie alle Tätigkeiten gleich bewertet und vergütet werden soll und es jedem freisteht, seine Rolle darin zu wählen, egal welchem Geschlecht Mensch sich gerade zufällig zugehörig fühlt. Das entwickeln der inneren Anima und des Animus (nach einer Theorie von C. G. Jung) also der männlichen und weiblichen Anteile ist ja wesentlich für die seelische Gesundheit und inneren Harmonie.
Es ist für keine Seite förderlich, wenn sie vernachlässigt wird. Dann macht sie sich irgendwann eben schmerzhaft bemerkbar. Positiv beeindruckt haben mich viel mehr die „leisen“ Menschen. Die Angehörigen von Risiko Patienten, Longcovid Erkrankten. Die mit diesen zwei Jahre lang auf engstem Raum zusammen gelebt haben um sie zu schützen, seien das nun ältere Ehepaare oder Vater und Mutter. Oder jüngere Geschwister, Kinder mit einer Behinderung oder chronischen
Erkrankung. Dort ist in den Familien Großartiges geleistet worden, einfach um das Leben von geliebten Menschen zu erhalten. Davor habe ich den allertiefsten Respekt; und auch diese Geschichten werden viel zu selten erzählt.
Sie könnten uns hoffen lassen, dass wir aus der Pandemie weiser, demütiger und dankbarer hervorgehen. Das nährt die Seele auch.“
akk: „Da haben Sie leider Recht. Da diese Menschen ja gezwungenermaßen im Verborgenen leben mussten, sind sie natürlich auch in der Öffentlichkeit kaum aufgefallen oder zu Wort gekommen. Sie werden im dritten Teil auf marburg.news de über die „Unsichtbaren“ in der Pandemie berichten. Vielen Dank erstmal bis hierhin!“
* Anna Katharina Kelzenberg
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