Planungshirn: spies würdigte 20 Jahre Behindertenbeirat

Seit 1997 vertritt der Behindertenbeirat die Interessen von Menschen mit Behinderung in Marburg. Zum 20-jährigen Jubiläum würdigte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies das ehrenamtliche Engagement und die Expertise der kommunalpolitisch Aktiven als „unverzichtbar“.
„Der Behindertenbeirat ist als starke und kompetente Stimme von Menschen mit Behinderungen aus der Marburger Kommunalpolitik nicht mehr wegzudenken“, gratulierte Oberbürgermeister Spies den Jubilaren bei einem gemeinsamen Rückblick am Montag (10. Juli) im Magistratssitzungszimmer des Rathauses. „Sie suchen sich Ihre eigenen Schwerpunktthemen, um Hürden für Menschen mit Behinderung zu identifizieren und abzubauen. Gleichzeitig beteiligen Sie sich an politischen Entscheidungen in der Stadt, indem Sie regelmäßig, verlässlich und mit enormer Sachkenntnis Stellung beziehen.“
Der Behindertenbeirat stelle sicher, dass Inklusion überall mitgedacht werde und damit „das Leben aller Menschen in Marburg verbessert wird“, erklärte Spies. Inzwischen ist das Gremium bereits in seiner fünften Wahlperiode. Die Anfänge indes waren für die Engagierten alles andere als barrierefrei.
„Der ersten Sitzung des Behindertenbeirats am 3. Juli 1997 gingen jahrelange Bemühungen der Behindertenverbände voraus“, blickte der Mitbegründer und seitherige Vorsitzende Franz-Josef Visse zurück. „Wir wollten das 1994 im Grundgesetz verankerte Benachteiligungsverbot in Marburg umsetzen und selbst gestalten.“
Nach 20 Jahren erfolgreicher Arbeit hat der Behindertenbeirat „durch konstruktive Zusammenarbeit mit den politisch Verantwortlichen und der Verwaltung zu wesentlichen Veränderungen für eine größere Barrierefreiheit in der Stadt Marburg beigetragen“, resümierte Visse. Durch „angemessene Forderungen bei notwendigen Veränderungen und Kompromissbereitschaft“ habe sich der Behindertenbeirat in der politischen Landschaft Achtung verschafft und ein Umdenken bei allen politischen Parteien und der städtischen Verwaltung bewirkt. „Wir haben innerhalb der vorgegeben finanziellen Rahmenbedingungen nach umsetzbaren Lösungen gesucht und sie gefunden“, sagte der Vorsitzende.
1995 verabschiedete die Stadtverordnetenversammlung die Geschäfts- und Wahlordnung, sodass der Behindertenbeirat 1997 zum ersten Mal gewählt werden konnte. Im Beirat sind 16 Menschen mit Behinderungen, ein Mitglied des Magistrats und je ein Mitglied der Parlamentsparteien. Beratend sind zudem Wohlfahrtsverbände vertreten, die in Marburg in der Behindertenarbeit tätig sind.
Die Schwerbehinderten werden von einer Delegiertenversammlung gewählt, die sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Behindertenvereine und -einrichtungen sowie von nichtorganisierten Menschen mit Behinderung zusammensetzt. Das Gremium tagt vierteljährlich. Es hat Antragsrecht an den Magistrat sowie Rederecht in den Ausschüssen des Parlaments.
Auf Antrag des Behindertenbeirats verpflichtete sich die Universitätsstadt Marburg, die Bestimmungen des Landesgleichstellungsgesetzes auch im kommunalen Bereich zu übernehmen. Profitiert hat der Behindertenbeirat zudem von der Novellierung der Hessischen Bauordnung, europaweit geltenden Regeln für barrierefreien Nahverkehr und Antidiskriminierungsgesetzen in Bund und Land.
Die Beiratsmitglieder, von denen mit Visse, Carola Ewinkel und Dr. Heinz Willi Bach noch heute drei Gründungsmitglieder aktiv sind, arbeiten in themenbezogenen Arbeitsgruppen. Regelmäßig treffen sich derzeit die Arbeitsgruppen in den Bereichen Bau und Verkehr, Inklusion von Kindern und Jugendlichen sowie Leichte Sprache.
Die Arbeitsgruppe Bau und Verkehr war entscheidend daran beteiligt, die Zusammenarbeit von städtischem Bauamt und Behindertenverbänden im „Runden Tisch Bau“ zu institutionalisieren. Gemeinsam mit weiteren Interessenvertretern und Beschäftigten von Straßenverkehrsbehörde, Hoch- und Tiefbau der Stadt berät die Arbeitsgruppe dort bei aktuellen Baumaßnahmen in Sachen Barrierefreiheit bei Bestandsgebäuden, Verkehrssituationen, Neubauten und Umgestaltungen.
„Bei längeren Planungs- und Realisierungsprozessen ist es von besonderer Bedeutung, eine kontinuierliche Beteiligung sicherzustellen, um auf Planungsänderungen zeitnah reagieren zu können“, betonte Visse. Er lobte das Marburger Beteiligungsverfahren als „richtungsweisend für die Mitarbeit an Großprojekten“.
Der Runde Tisch war an allen größeren Neubauten und Umgestaltungen der letzten Jahre wie beim Sport- und Freizeitbad AquaMar, Erwin-Piscator-Haus (EPH), Hauptbahnhof mit Bahnhofsvorplatz, Sozialamt, Schulen und Kindergärten beteiligt. Auch universitäre Großprojekte wie die neue Universitätsbibliothek inklusive Campus Firmanei sowie die Verkehrswege des Campus Lahnberge wurden vom Runden Tisch begleitet.
Eine eigene Haushaltsstelle für Bauarbeiten wie automatische Türöffner, Bordsteinabsenkungen oder auch Markierungen von Treppenstufen erlaubt die kurzfristige Umsetzung von kleineren und mittleren Maßnahmen. Inzwischen wurden auf Grundlage einer Prioritätenliste des Runden Tisches die Zugänge der meisten Schulen, Bürgerhäuser, Verwaltungsgebäude und Kindergärten durch Rampen, Aufzüge und Treppenlifte behindertengerechter gestaltet.
Die Arbeitsgruppe Inklusion behinderter Kinder und Jugendlicher hat sich erfolgreich für die Öffnung von Freizeit- und Ferienangeboten für junge Menschen mit Behinderung eingesetzt. Durch die Zusammenarbeit mit der städtischen Jugendförderung wurden hauptamtliche Betreuerinnen und Betreuer im Umgang mit behinderten Freizeitteilnehmenden geschult.
Auf Initiative der AG Inklusion wurde die Wahl zum Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) auch für Schülerinnen und Schüler von Internaten –
zum Beispiel der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) – geöffnet. Die Arbeitsgruppe begleitete zudem die Erstellung des Teilhabeplans 2016 und des Marburger Aktionsplans 2017 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UNBRK).
Für die Verwendung von Leichter Sprache in Stadt und Verwaltung setzt sich die AG Leichte Sprache ein. Menschen mit Lernschwierigkeiten sollen darüber Zugang zu wichtigen Informationen bekommen.
Die AG fordert, dass über das eigene Internetangebot der Stadt in Leichter Sprache hinaus wichtige Broschüren und Informationsmaterialien entsprechend verständlich dargestellt werden. Einladungen und Protokolle des Behindertenbeirats wurden bereits in Leichte Sprache überarbeitet.
Neben den drei ständigen Arbeitsgruppen bildet der Behindertenbeirat bei Bedarf aktuelle, anlassbezogene AGs. Dazu zählen die AG Stadtführer, die AG Soziale Sicherung sowie die AG Behindertenfahrdienst, die jeweils beratend tätig waren und je eigene Erfolge vorzuweisen haben. Zum Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderungen 2003 (EJMB)gründete sich außerdem eine für ein Jahr befristete Arbeitsgruppe.
„In den vergangenen 20 Jahren haben wir natürlich auch von veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen auf Landes-, Bundes- und Europäischer Ebene profitiert“, erklärte Visse. „Dennoch bleibt auch heute noch rechtlich viel zu tun beispielsweise bei der Nachrüstung von Bestandsgebäuden, Bestandsfahrzeugen im Nahverkehr“ und bei privaten Angeboten.
„Die Universitätsstadt Marburg genießt heute auch überregional den Ruf einer behindertenfreundlichen Stadt“, fasste Oberbürgermeister Spies zusammen. Nicht zuletzt durch das Engagement des Behindertenbeirates konnte sich Marburg als eine von vier Finalisten beim Europäischen Preis für Barrierefreiheit – dem Access City Award 2012 – unter 114 Bewerberstädten aus 23 Ländern durchsetzen.

* pm: Stadt Marburg

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