Die persönlichen Aufzeichnungen eines der ersten Corona Opfer aus Marburg stammen vom Beginn der ersten Welle im Frühjahr 2020. Darin berichtet Hanno, wie es möglich war, sich zweimal innerhalb von zwei Monaten mit Covid 19 zu infizieren.
Die Aufzeichnungen enden mit seiner Verlegung auf die Intensivstation des Universitätsklinikums eine Woche vor seinem Tod am 13. April 2020. Sein Ehemann Eli ergänzt die Schilderung aus seiner Sicht.
In seinen Erinnerungen schrieb Hanno: „Vor etwa zwei Monaten im Februar 2020 fuhr ich von Marburg mit dem Zug nach Bayern, um Freunde in Murnau zum Ski Langlaufen zu besuchen. Bis dahin hatte ich mir über Corona keine großen Gedanken gemacht. Klar, ich hielt mich an diebis dahin bekannten Maßnahmen, aber ich dachte auch, falls es mich erwischen sollte, werde ich es nicht sehr merken.“
Aber dann bekam er ein paar Tage nach der Zugfahrt, die viele Stunden andauerte, in einem proppenvollen ICE, die typischen Symptome wie Fieber, Schlappheit, Geruchs – und Geschmacksverlust und ein bleiernes Unwohlsein. Daher vereinbarte die Mutter seiner Freunde, die er besuchte, einen Corona-Test.
„Während ich auf das Ergebnis wartete, schlug meine Warnapp rot an. Da war es klar: Nun hatte es mich erwischt, vermutlich im Zug, denn um mich herum gab es keinen einzigen Fall der Erkrankung.
Die nächsten beiden Wochen war ich in Quarantäne und mit mir meine Freunde und ihrer Mutter. Die Drei hatte ich auch noch angesteckt, aber der Verlauf ihrer Covid-19 Erkrankung war milde, im Vergleich zu meiner: Ich lag mehrere Tage nur im Bett und fühlte mich schrecklich krank. Einfach alles war anstrengend.
Nach zwei Wochen ging es mir aber wieder gut. Ich war noch etwas müde, galt aber laut Gesundheitsamt nicht mehr ansteckend und durfte ich daher mit dem Zug nach Hause zurück nach Marburg fahren. Aber das war eigentlich viel zu viel, nur mit größter Kraftanstrengung gelangte ich nach Hause. Ich kam allerdings in eine leere Wohnung: Mein Mann hatte seine längst vorab geplante Operation hinter sich gebracht und durfte sich keinesfalls anstecken, Daher blieb er bei seiner Mutter, auch wenn niemand zu dem Zeitpunkt damit rechnete, dass ich doch noch nicht ganz gesund war. Ich war also alleine, als bei mir Luftnot und schreckliche Hustenanfälle einsetzten. Ein weiterer Test zeigte, Ich war immer noch positiv. Das war ein Schock!
Meine Familie und Freunde versorgten mich mit Lebensmitteln, aber ich musste da alleine durch diese Zeit. Mein Hausarzt und auch das Gesundheitsamt sprachen zwar immer wieder mit mir, aber ich fühlte mich sehr einsam. Es ging mir schlecht, unfassbar schlecht sogar, mehrere Male dachte ich, ich müsse den Rettungswagen rufen. Das war auch so mit meinem Hausarzt als Ausweg vereinbart, der mehrmals kam und mich einige Male abhörte.
Alles Mögliche lief weiter schief. Täglich rief zwar das Gesundheitsamt an und fragte nach Symptomen wie Fieber, Husten, Schwäche.“
Eli ergänzt: „Mein Mann hatte aber zu dem Zeitpunkt immer noch keine der typischen Covid-19 Symptome. Deshalb wurde er nach sieben Tagen zu Hause in Isolation offiziell aus der Quarantäne entlassen, obwohl er immer noch positiv auf das Corona-virus getestet wurde. Er galt aber laut Gesundheitsamt nicht mehr als ansteckend.“
Hanno schrieb damals: „Insgesamt kroch ich sieben Wochen herum wie eine Schnecke. Konnte nicht in meinen Laden und musst alle Aufträge stornieren. Was als Selbstständiger ein echtes Problem ist. Aber ich bin einfach seitdem nicht mehr fit und kann mich ganz schlecht konzentrieren. Das ist ein schreckliches Gefühl.
Nach weiteren zwei Wochen war ein erneuter Test endlich negativ, aber der Husten und die Luftnot, aber auch das Schwächegefühl blieben, in einer Nacht dachte ich, ich ersticke. Daraufhin wechselte ich dann doch ins Krankenhaus. Ich lag auf der Normalstation in einem Zweibettzimmer mit einem Mitpatienten mit angeblich „nur“ einer akuten Influenza mit Lungenentzpndung. Trotzdem ich mich immernoch mies fühlte,wurde ich nach einigen stabilsiereben Maßnahmen einige Tage später entlassen, da Ich keine Symptome zeigte. Mein m,ann sollte sich in meiner Quarantäne um mich kümmern und sich selbst dabei so gut es geht schützen, also jeden Körperkontakt vermeiden. Bei Ihm wurde kein Test angeordnet. Zur selben Zeit wurden übrigens Menschen aus Italien in dieses Krankenhaus zu intensivmedizinischen Betreuung geflogen und später als geheilt nach Hause geschickt.“
Eli erläutert dazu: „Am 10. April 2020 kam mein Mann wieder ins Krankenhaus, weil er schwer Luft bekam. Durch seine Herzprobleme kam es öfter vor, dass er schlecht Luft bekam. Somit haben wir an Corona überhaupt nicht mehr gedacht. Es waren mittlerweile ja schon drei Wochen seit dem Kontakt mit dem Corona-Positiven aus dem letzten Klinikaufenthalt vergangen. Diesmal kam er dann direkt auf die Isolierstation, schließlich er war ja auch wieder positiv getestet.
Ich konnte zum Glück immer wieder bei ihm sein, aber es gab keine Hoffnung mehr – er starb kurz danach an Covid 19. Eine lange Woche wussten wir alle, dass ihm nicht mehr geholfen werden konnte.“
Das Schlimmste war: „Auch er wusste es. Ich konnte mich noch von ihm verabschieden, nachdem er verstorben war. Ich kann nicht damit abschließen, dass er so elendig sterben musste.“
Eli meint: „Wahrscheinlich könnte er noch leben, wenn damals von Seiten der Ärzte und auch des Gesundheitsamtes anders gehandelt worden wäre. Wie konnten sie ihn – einen Herzpatienten mit einem positiven Corona-Test – aus dem Krankenhaus entlassen und nicht engmaschig betreuen? Das ist für mich eine sehr schwierige Situation. Die erneute Ansteckung durch den Mitpatienten lässt sich nicht beweisen. Bei dem waren wohl 3 Schnelltest negativ gewesen und darum wurde kein PCR Test veranlasst.
Natürlich habe ich auch versucht, mit der Ärzteschaft und dem Gesundheitsamt den Ablauf der Betreuung durchzusprechen, aber dort sagte man mir, zu der Zeit hätten sie sich alle an die Vorgaben vom Robert-Koch-Institut gehalten und bestehen darauf, alles richtig gemacht zu haben. „So etwas sei sehr bedauerlich, aber die Situation eben für alle neu gewesen.
„Möglicherweise sei das diensthabende Personal in dem Moment überfordert gewesen. „Vielleicht war ja auch ein PCR Test angeordnet gewesen und dies nicht dokumentiert worden und daher nicht erfolgt. bedauerlich aber eben ein Einzelfall.“ hieß es. Nur dieser „Einzelfall“ war eben halt MEIN Mann, den ich über alles liebte. Den ich nicht und sonst niemand hatte beschützen können vor diesem klitzekleinen, tödlichen Virus.“
Wir erinnern uns zurück: Zu dem Zeitpunkt war der erste Höhepunkt der Corona-Pandemie, Besuche waren im Krankenhaus nur eingeschränkt möglich. Die Schulen waren geschlossen. Eigentlich sollte alles getan werden, um Corona-Infizierte zu identifizieren, schnell zu isolieren und somit das Virus einzudämmen.
„Das war anscheinend nicht so einfach: Später wurde nämlich klar, dass sein Zimmergenosse keine einfache Lungenentzündung hatte, sondern an Covid 19 erkrankt war; und ein Test bewies kurz darauf, mein Mann hatte sich angesteckt. Eine Katastrophe, erst recht in seinem Zustand!
Ich konnte zum Glück immer wieder bei ihm sein, aber es gab keine Hoffnung mehr.“
Er starb kurz danach an Covid 19: „Es ging ihm zunehmend schlechter. Sein behandelnder Arzt rief mich an und fragte, ob mein Mann intubiert werden solle. Natürlich stand ich vor Schock neben mir und konnte das nicht einfach so beantworten. Ich wollte das erst mit meinem Mann besprechen, aber dazu kam es nicht mehr, es ging ihm einfach zu schnell zu schlecht.
Es war zwar kein Freitag sondern einfach nur der 13. April 2020. Die ganze Welt hält seit Wochen buchstäblich den Atem an wegen eines Virus. Vieles, was gewohnt lief, steht auf einmal still. Hanno hat es die Luft zum Atmen genommen. Ich durfte auf die ITS, absolute Ausnahme während Corona. Er war schon im künstlichen Koma ich durfte 11 Stunden bei ihm sitzen und seine Hand halten. Ich bin überzeugt er hat meine Anwesenheit auch gespürt. Sein seelischer Zustand schwebte schon seit Tagen zwischen Leben und Tod, Agonie, wenig Bewusstsein. Kein letztes Gespräch kein gemeinsames Abschiednehmen. Freitag kam der Anruf, dass es nicht mehr lange dauern werde. Sonntag war er tot.“
Gute Freunde halfen, die Beerdigung zu planen. „Einen „Freundschaftsbaum“ hatten wir vor einigen jahren schon im Ruhewald erstanden. Eine 80 Jahre alte Birke. Seine Lieblingsbäume. Darunter dürfen bis zu einem Dutzend Urnen Platz finden. Da wir beide aufgrund unserer offen gelebten Homosexualität zu vielen Verwandten keinen Kontakt mehr haben können, weil dies das anlehnen, wollten wir germne mit unserer selbstgewählten „Seelenfamilie“ unserem „Stamm“ wie wir scherzhaft sagten, unseren liebsten und engsten „Freund*innen“ – gemeinsam nach diesem abenteuerlichen Leben an einem friedlichen Ort ausruhen.“
Die Beisetzung erfolgte erst anfang Mai. „Die Sonne schien, die Vögel zwitscherten und die Bäume dufteten betörend nach Frühling und Neubeginn. Alle, denen er wichtig gewesen war, kamen.. Es gab Gesang und selbstverfasste Gedenkworte. Eine persönliche Ansprache eines Traueredners. Die Zeremonie war sehr schön.“
Hanno wurde 54 Jahre alt. Da war Eli gerade 51 Jahre. Ganze 25 Jahre – ihr halbes Leben – hielten sie wie Pech und Schwefel zusammen. Ließen sich als eines der ersten homosexuellen Paare in Marbug – ohne zu zögern – trauen, sobald das gesetzlich möglich wurde.
Die Trauung erfolgte im Raum des Standesamts im Landgrafenschloss. Eli erinnert sich an den Todestag: „An dem Tag bin ich mit gestorben. Ich lebe nicht mehr, ich existiere nur noch. Ich taste mich durch einen Nebel, Tag für Tag. Wir waren eine Symbiose wir haben uns perfekt ergänzt. Die große Liebe eben. Er hatte immer Angst, dass ich vor ihm sterbe. Nach anderthalb Jahren habe ich immer noch nicht seine Sachen gesichtet und sortiert. Seinen Nachlass zu ordnen in seinem Sinne.“
mich überfällt ja jetzt noch gänsehaut, wenn ich nur darüber nachdenke… Ich schaffe es nicht, mich dran zu setzen, als würde ich dadurch seinen Weggang endgültig besiegeln. Weil es unser zuhause so nicht mehr gäbe, wenn ich sein Zimmer anders einrichtete… Als gäbe es dann keinen Ort mehr, wohin er gehörte und eines Tages zurückkkehren könnte. Obwohl mein Verstand weiss, er ist nicht bloß auf einer Reise und steht eines Tages wieder freudestrahlend in der Türe. Diesmal nicht!“
„Nie wieder“ sind für ihn die beiden grausamsten Worte, die es gibt: „Trauer und Tod sind zwar Teil unseres Lebens; wir haben sie aber verdrängt und verlernt, mit ihnen zu leben. Wir schieben sie ab auf die professionell Helfenden in Heimen und Kliniken. Ich würde mir wünschen, dass durch Corona die Menschen wieder mehr zu ihrer Endlichkeit stehen. Dass wir Trauerrituale entwickeln die für unsere Zeit angemessen sind. Ohne Religion und Kirche. In denen wir persönlich ausdrücken können, was wir fühlen und was dieser Mensch uns bedeutet hat. Dass wir lernen Organspendeausweise, Patientenverfügungen, Vollmachten und Testamente zu Lebzeiten zu veranlassen. Dass es normal ist, seine eigene Trauerfeier und seinen Nachlass schon rechtzeitig zu regeln. Einen Ruhebaum zu kaufen, ein Urnengrab zu mieten, eine Seebestattung zu bestellen. Seinen Sarg selber zu zimmern und zu bemalen. Vorbereitungen zu treffen wie für jede andere Party auch. Eine Playlist zu erstellen, Einladungen zu schreiben. So ein Fest zu gestalten, bei dem man es selbst am Meisten bereut, nicht mehr dabei sein zu können.“
* Anna Katharina Kelzenberg