Inspirierende Ideen: „Tag der Lehre“ an der Philipps-Universität

„Mehr als digital“ war der fünfte „Tag der Lehre“ an der Philipps-Universität. Dabei wurden inspirierende Lehrideen ausgezeichnet.
Was macht gute Lehre aus? Welche neuen Formate kann man an der Philipps-Universität etablieren? Wo und wie erhalten Interessierte dabei Unterstützung?
Am Donnerstag (18. November) tauschten sich Marburger Lehrende beim fünften „Tag der Lehre“ der Philipps-Universität intensiv zu Fragen wie diesen aus. Darüber hinaus wurden neue Lehrkonzepte von Lehrenden und Studierenden verschiedener Fächer von Virtual Reality-Formaten in der Notfallmedizin über Facebook-Experimente in der Politikwissenschaft bis hin zu digitalen, europäischen Simulationen zur Krisenintervention in der Friedens- und Konfliktforschung mit dem Lehrpreis „Lehre@Philipp“ gewürdigt.
„Die Corona-Pandemie hat der Lehre an der Universität Marburg einen deutlichen Digitalisierungsschub gegeben“, stellte Uni-Vizepräsidentin Prof. Dr. Evelyn Korn fest. „Doch einfach nur auf digital umzustellen macht Lehre nicht gleich innovativ. Der Tag der Lehre gibt viel Raum und Inspiration, neue Lehrformate kennenzulernen, die an der Universität Marburg schon erfolgreich umgesetzt werden und auch, um Ideen für die eigene Lehre entwickeln und umsetzen zu können.“
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhielten viele Einblicke in „Good-Practice“-Beispiele, hatten Möglichkeiten zum Austausch und Diskussionen mit anderen Lehrenden. „Ich freue mich, dass wir so viele tolle Einreichungen für den Lehrpreis erhalten haben und sechs Projekte mit insgesamt 65.000 Euro fördern können“, erklärte Korn.
Prof. Dr. Thorsten Bonacker, Dr. Kerstin Zimmer und Dr. Stéphane Voell vom Zentrum für Konfliktforschung (ZfK) möchten die erfolgreiche „Kriseninterventionssimulation“ (KIS) für Studierende weiterentwickeln. KIS besteht derzeit aus einer zweitägigen Simulation, in der Studierende die Position von Organisationen der Friedens-, Entwicklungs- und Menschenrechtsarbeit übernehmen. Ein realer Konflikt wird fiktiv eskaliert; und die Studierenden entwickeln in ihrer jeweiligen Rolle Strategien zur Konfliktbearbeitung.
Bislang hat sich die Simulation sehr stark auf deutsche Akteurinnen und Akteure der Konfliktbearbeitung konzentriert. KIS soll nun EU-weit durchgeführt werden, um Studierende adäquat für internationale Berufsfelder vorzubereiten.
Für die Simulation sollen Studierende aus Partnerhochschulen unter anderem in Frankreich, Polen, Portugal, Großbritannien, Schweden, Dänemark, Serbien oder Zypern in multinationalen Teams die Rolle von internationalen Organisationen einnehmen und auf einen europäischen Konflikt reagieren. Darüber hinaus sollen Studierende stärker in die Spielleitung und Konzeption des Drehbuchs eingebunden werden.
Die Notfallmedizin ist ein wichtiger Bestandteil der medizinischen Lehre an der Philipps-Universität. Die Behandlung von Notfällen ist ein sehr komplexer Prozess und die bisherigen Methoden – beispielsweise mittels Schauspielpatientinnen und -patienten – ermöglichen unter anderem kein Training invasiver Maßnahmen oder das Verabreichen von Medikamenten. Prof. Dr. Ivica Grgic vom Fachbereich Medizin möchte das ändern und ein „Virtual-Reality Training“ im Management von Notfall-Patientinnen und -Patienten in der medizinischen Lehre etablieren, um Studierende besser auf entsprechende Situationen vorzubereiten.
Das Training soll die entscheidenden 15 bis 30 Minuten der Begegnung mit einem Notfall-Patienten erfahrbar machen – inklusive der Notfallversorgung, Stabilisierung und Indizierung weiterer Maßnahmen sowie aller diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten. Die Studierenden sollen die Möglichkeit erhalten, in verschiedenen Schwierigkeitsgraden ein realistisches Stress-Level zu erfahren und in einem geschützten Umfeld verschiedene Strategien zu erproben.
Prof. Dr. Christian Komusiewicz vom Fachbereich Mathematik und Informatik möchte das Modul „Effiziente Algorithmen“ weiterentwickeln. Das Modul vermittelt Methoden zur Entwicklung möglichst schneller Algorithmen und beinhaltet derzeit vor allem theoretische Aspekte. Um praktische Inhalte noch stärker zu vermitteln und besser auf die einzelnen Lernstile der Studierenden einzugehen, möchte er den Studierenden nun die Wahl zwischen zwei „Tracks“ und somit eine individuelle Schwerpunktsetzung ermöglichen.
Wollen sie sich mit Algorithmen eher auf rein theoretischer Ebene beschäftigen oder ist ihnen die praktische Umsetzung wichtiger? Trotz unterschiedlicher Wege ist zwischen den Studierenden des Praxis- und des Theorie-Tracks ein intensiver Austausch geplant.
Unter anderem soll es drei Miniprojekte geben, die gemeinsam bearbeitet werden und in ein Abschlusssymposium münden. Die Studierenden können dann zum Beispiel gemeinsam reflektieren, ob die theoretisch entworfenen Algorithmen wirklich praxisrelevant sind oder wodurch gegebenenfalls eine Lücke zwischen theoretischer Vorhersage und praktischer Performance entstehen kann.
Die Studierenden Phillip Kremer und Leonard Richter möchten ihm Medizin-Studium ein zusätzliches Wahlfach etablieren. Sie nennen es „Vom Symptom zur Diagnose“.
Die umfassende Kenntnis von Krankheitsbildern ist für Medizinstudierende unabdingbar.
Doch im Krankenhaus- oder Praxisalltag müssen Ärztinnen und Ärzte meist einen umgekehrten Weg gehen, um eine Diagnose stellen zu können: Ausgehen müssen sie dabei von Symptomen, die ihre Patientinnen und Patienten schildern. Auf dem Weg zur Ergründung einer Diagnose werden die Studierenden innerhalb des Wahlfachs zu selbständigen Gedankenfindung animiert.
Welche Informationen habe ich bereits und welche fehlen für eine Diagnose? Welche Krankheitsbilder kommen in Frage? Was bedeuten die Laborparameter? Was spricht für und was gegen eine mögliche Verdachtsdiagnose?
Mit einem interaktiven Lehr-Tool sollen Studierende unter anderem auf Laborbildern vermutete Pathologien markieren und im Plenum digital über mögliche Diagnosen abstimmen. Unterstützt werden die Studierenden von acht Ärztinnen und Ärzten vom Fachbereich Medizin der Philipps-Universität und dem Universitätsklinikum Marburg.
Nils Vief vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und Philosophie möchte mit dem Lehrpreis sein Seminar „Das Mediensystem der BRD im digitalen Wandel“ verbessern. Der digitale Wandel der Gesellschaft ist nicht nur das Thema des Seminars, sondern bestimmt auch die Arbeitsweise in der Lehrveranstaltung. Die Studierenden halten keine Referate, sondern produzieren Lehrvideos zu den Leitfragen der Sitzungen.
Das erarbeitete Wissen wird digital in einem Wiki zusammengetragen. Darüber hinaus führen die Studierenden parallel zur Veranstaltung ein Facebook- Experiment zu sogenannten „Filterblasen“ durch.
Die Arbeitsgruppen erhalten identische Smartphones oder Tablets mit formal identischen Facebook-Accounts. Sie unterscheiden sich lediglich darin, dass einer mit vermeintlich „rechten“ Inhalten interagiert und der andere mit vermeintlich „linken“ Inhalten. Die Studierenden sollen analysieren, wie der Facebook- Algorithmus die gezeigten Inhalte an die politischen Präferenzen anpasst und ob und in Bezug auf welche Themen es zu einer Verengung des gezeigten Informationsangebots zur Bundestagswahl kommt.
Dr. Monika Weiß vom Institut für Medienwissenschaft am Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften sowie Dr. Marcel Wilhelm aus der Arbeitsgruppe Klinische Psychologie und Psychotherapie am Fachbereich Psychologie möchten mit Studierenden beider Fachbereiche Youtube-Videos produzieren.Auf der Videoplattform finden sich mittlerweile Erklärvideos zu unterschiedlichsten Themen. Darunter sind auch Videos zu wissenschaftlichen Inhalten, die Forschungsergebnisse auch für Laien verständlich aufbereiten oder spannende Einblicke in die universitäre Lehre geben.
Über ein Semester sollen Studierende der Medienwissenschaft und der Psychologie gemeinsam einen Erklär-Clip erarbeiten und produzieren. Zum Beispiel erstellen sie ein Video als „Explainity-Clip“, „durch StopMotion-Effekte“ oder im „Vlogging-Stil“. Mit der Lehrveranstaltung können die Studierenden ein tieferes Verständnis für die jeweils andere Fachrichtung entwickeln und zusätzliche Kompetenzen in der Wissenschaftskommunikation erwerben.
Der Wettbewerb „Lehre@Philipp“ prämiert Projekte, die eine sichtbare Innovation in die Lehre einbringen oder zur Verbreitung von Konzepten beitragen, die sich bereits in der Erprobung befinden. Weitere Kriterien sind unter anderem die Förderung von Motivation und Begeisterung für das Fach, eine gute Verknüpfung von Theorie und Praxis und die Förderung des Dialogs zwischen Lehrenden und Studierenden.
Die Preisträgerinnen und Preisträger als Videovorstellung gibt es auf youtube.com/playlist?list=PLLmr_XhQwwKOY5cFi_0tsDF21x8rzXgNP.

* pm: Philipps-Universität Marburg

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