Die Feuerwehr Marburg ist ihrer eigenen Vergangenheit auf der Spur. Eine Ausstellung beleuchtet ihre Rolle in der NS-Zeit.
„Retten, Löschen, Bergen, Schützen“ sind die vier Hauptaufgaben der Feuerwehr. In Marburg kommt jetzt noch „Recherchieren“ hinzu, denn Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr haben sich auf Spurensuche begeben. Spannendes ist dabei ans Licht gekommen.
Das Ergebnis präsentieren sie in der Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden – Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“. „Es ist eine Ausstellung, die mit alten Fotografien und Ausrüstungsgegenständen begeistert“, sagte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies anlässlich der Ausstellungseröffnung im Rathaus. „Gleichzeitig macht sie aber auch betroffen, denn sie wirft die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung in eine Zeit zurück, in der das nationalsozialistische Terror-Regime über alles herrschte, selbst über die Feuerwehr.“
Doch es sei wichtig, sich dieser Vergangenheit zu stellen und sie aufzuarbeiten, berklärte Spies. „Daher bin ich sehr stolz und dankbar, dass sich die Marburger Feuerwehr dieser Aufgabe aus eigenem Antrieb heraus angenommen hat.“
Mit der Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden – Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“ stellt die Marburger Feuerwehr ihre Recherche-Ergebnisse vor und macht ein Stück Stadtgeschichte erfahrbar. „Wir möchten damit nicht nur den Umgang mit einer durchaus schwierigen Geschichte finden, sondern vor dem Hintergrund des eigenen historischen Beispiels warnen“, sagte der stellvertretende Feuerwehrchef Andreas Brauer. Dieses Ansinnen haben auch die Zettelkästen im „Garten des Gedenkens“, die die Feuerwehrleute mit Zitaten von damals und heute bestückt haben.
So war 1938 zum Beispiel auch ein Feuerwehrmann, der in der SA war, aktiv daran beteiligt, die Synagoge in Brand zu stecken. Die Tat, die sich in der Nacht auf den 10. November 1938 ereignete, wurde erst nach dem Krieg rekonstruiert und die Täter zu Freiheitsstrafen verurteilt. Dieser Prozess stellt damit eine wichtige Quelle für die Geschichte der Freiwilligen Feuerwehr Marburg dar.
„Zitate aus dem Synagogenbrandprozess sollen den Geist der Zeit anschaulich machen und stehen im krassen Kontrast zu dem demokratischen und freiheitlichen Selbstverständnis der heutigen Freiwilligen Feuerwehr Marburg“, erklärte Feuerwehrchefin Carmen Werner den Zusammenhang von Ausstellung und Synagogenbrand. Der Brand der Marburger Synagoge nehme in der Ausstellung eine zentrale Rolle ein, so wie in der Geschichte die Reichspogromnacht den Anfang des Terrors markierte, der daraufhin folgen sollte.
Welche Rolle die Gleichschaltung der Feuerwehr ganz konkret in der Universitätsstadt spielte, war bislang nur wenig erforscht. Die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Marburg, die sich im Rahmen des Projekts „Das Dritte Reich und wir“ auf Spurensuche begaben, wurden dabei durch die Justus-Liebig-Universität Gießen unterstützt. Weitere Unterstützung erhielten sie außerdem durch den Deutschen Feuerwehrverband und das Deutsche Feuerwehr-Museum Fulda.
Gefördert wurde das Projekt maßgeblich durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. In mehreren Workshops erlangten die engagierten Feuerwehrkräfte das Handwerkszeug, um eigenständig die Geschichte ihrer Wehr vom Staub der Vergangenheit zu befreien. Sie wurden aktiv forschend in die Recherchen einbezogen.
„Ziel des Projekts war: Nicht von oben herab sollte die Geschichte erklärt, sondern aus dem Kreis der Feuerwehrleute heraus erarbeitet und präsentiert werden“, betonte Projektmitarbeiter Dr. Clemens Tangerding von der Justus-Liebig-Universität. Tatsächlich konnten die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Marburg durch ausdauernde Forschung neue Erkenntnisse zur Geschichte ihrer Wehr während des Nationalsozialismus an die Oberfläche bringen.
„Durch Archivrecherchen sowie anhand von Fotografien und Objekten ließ sich die Vergangenheit Stück für Stück rekonstruieren“, freute sich der Historiker Tangerding über das Ergebnis. „Allerdings ist es eine Vergangenheit, in der die Freiwillige Feuerwehr nach und nach ihre Freiwilligkeit verlor“, erklärte Tangerding weiter. Per Gesetz fügte sich die Marburger Wehr dem totalitären System und schloss „nicht-arische“ Mitglieder aus.
Das gilt auch für den jüdischen Kaufmann Elias Goldschmidt. Sein Schicksal wird in einer Teilausstellung im Schaufenster am Steinweg 3 ½ gezeigt. Dort hatte Goldschmidt Anfang des 20. Jahrhunderts sein Wohn- und Geschäftshaus, das er jedoch nach der sogenannten „Machtergreifung“ unter Wert verkaufen musste.
Die Präsentation über Elias Goldschmidt findet sich auch in der Ausstellung im Rathaus wieder. „Die Ausstellung ist eine bewusste Einladung, sich mit diesen Inhalten und Themen näher auseinanderzusetzen, denn wir wollen aus unseren Fehlern lernen und nicht vergessen“, betonte Rolf Schamberger vom Deutschen Feuerwehr-Museum Fulda. Die Zusammenarbeit mit der Justus-Liebig-Universität Gießen sei in dieser Sache sehr wichtig und zukunftsweisend für weitere Projekte gewesen, ergänzte Vizepräsident Norbert Fischer vom Landesfeuerwehrverband (LFV) Hessen.
Die Ausstellung zeigt, dass die Freiwillige Feuerwehr Marburg auf eine lange Geschichte zurückblickt: 1861 als bürgerlich-mittelständischer Verein gegründet, war für die Vereinsmitglieder der Brandschutz in der Stadt das oberste Gebot.
Doch schnell entwickelte der anfangs funktionale Zusammenschluss einiger Kaufleute und Handwerker eine eigene Dynamik: Ein „Wir-Gefühl“, Kameradschaft und Zusammenhalt gesellten sich zu dem Anspruch der Freiwilligen Feuerwehr Marburg, in Notsituationen Hilfe zu leisten. Alle, die sich dieser Gemeinschaft anschließen wollten, wurden mit offenen Armen empfangen.
„Mit der sogenannten Machtergreifung durch die Nationalsozialisten änderte sich für die Freiwillige Feuerwehr jedoch alles von der Struktur bis zum Erscheinungsbild“, berichtete Feuerwehrchefin Carmen Werner. Die Ausstellung „Als die Feuerwehrautos tannengrün wurden – Die Feuerwehr Marburg in der NS-Zeit“ ist bis Sonntag (14. November) täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Sie befindet sich in der Ausstellungshalle des Rathauses.
* pm: Stadt Marburg
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