Ausgang ins Abseits: Zum 100. Todestag von Sophie Scholl

„Entscheidet Euch, eh‘ es zu spät ist!“ Das schrieb die „Weiße Rose“ 1943 in einem Flugblatt.
„Zerreißt den Mantel, der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt!“ Dieser Satz ist eines der berühmtesten Zitate aus den Flugschriften der Widerstandsgruppe gegen den Hitler-Faschismus. Ihre prominenteste Vertreterin war und ist auch heute noch Sophie Scholl.
Sophia magdalena Scholl wurde am 9. Mai 1921 geboren. Am 22. Februar ermordete der Scharfrichter die Studentin mit der Guillotine. Einen Tag zuvor hatte der Volksgerichtspräsident Roland Freisler das Todesurteil gegen sie, ihren Bruder Hans Scholl sowie ihren Mitstreiter Christoph Probst gesprochen.
Ganz besonders Sophie Scholl ist vielen Generationen von Menschen ein Vorbild an Aufrichtigkeit und Mut. Um ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu schützen, nahm sie alle Schuld auf sich. Dabei beeindruckte ihre Geradlinigkeit sogar die verhörenden Schergen der Geheimen Staatspolizei (GeStaPo) und den Scharfrichter.
Wie zahlreiche andere deutsche Städte würdigt auch die Universitätsstadt Marburg zu Recht das wirken der Widerstandskämpferin und ihrer Gruppe. Eine Straße am Ortenberg trägte den Namen „Geschwister-Scholl-Straße“. Ein Verteilerkreis auf dem Tannenberg heißt „Platz der Weißen Rose“.
Leider zu Unrecht beinahe vergessen sind hingegen die – ebenfalls noch jungen – Widerstandskämpferinnen Cato Bontjes van Beek und Ursula Götze. Ihre Widerstandsgruppe war von der GeStaPo als „Rote Kapelle“ bezeichnet und damit nachhaltig diskreditiert worden. Dieses falsche Etikett hängt den Widerstandskämpferinnen um Harro Schulze-Beusen und Dr. Arwed Harnack bis heute noch an.
Zu dieser Gruppe gehörte auch der Marburger Romanist Prof. Dr. Werner Krauß. Im gegensatz zu seiner Lebensgefährtin Ursula Götze entging er dank kluger Unterstützung anderer Marburger Professoren um Haaresbreite knapp einem Todesurteil. Nach Kriegsende sah er sich jedoch heftigen Anfeindungen seitens seiner einstmals nationalsozialistischen Kollegen ausgesetzt, sodass er Marburg schließlich verließ.
In seiner Person wie auch der von den Nazis „Rote Kapelle“ genannten Widerstandsgruppe wirkt das nationalsozialistische Unrecht bis heute noch nach. Ihre Rehabilitierung und Würdigung wäre ein wichtiger Schritt, um Gerechtigkeit zu schaffen für den Widerstand auch der Geschwister Scholl. Darüber hinaus wirken auch viele weitere faschistische Strukturen weiterhin fort.
Zu ihnen gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg der Jurist Prof. Dr. Erich Schwinge, der trotz seiner Vorarbeiten für die Nazi-Wehrstrafjustiz bis in die 70er Jahre hinein an der Philipps-Universität noch Strafrecht lehrte. Zu ihnen gehören aber auch Ausdrücke aus dem Wörterbuch der Unmenschlichkeit wie „ausmerzen“ oder „Volkswagen“ ebenso wie das Staatsangehörigkeits- und Ausländerrecht, das als „Jus Sanguinis“ immer noch der völkischen Blut-und-Boden-Ideologie folgt. Zwar ohne Lehrbefugnis – aber ansonsten weitgehend unbehelligt – lebte der Nazi-Massenmörder Prof. Dr. Wilhelm Pfannenstiel in Marburg, der als SS-Standartenführer und Medizinischer Chefberater des „Euthanasie“-Projekts „T4“ verantwortlich war für den Tod von mindestens 173.000 behinderten Menschen.
„Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“, schworen die Überlebenden der Konzentrationslager in Auschwitz, Bergen-Belsen, Buchenwald, Mauthausen und im KZ-Außenlager „Münchmühle“ in Stadtallendorf.
Für diese Haltung stehen aufrechte Antifaschistinnen und Antifaschisten. Dafür stehen all diejenigen, die das Gedenken der Opfer der Shoa und des Widerstands gegen die NS-Diktatur hochhalten. Dafür stehen auch die Nachfahren der Opfer und der Widerstandskämpfer, die vereinzelt auch erfreuliche Unterstützung erhalten von entsetzten Nachfahren einiger Täter.
Ehre erweisen den mutigen Menschen im Widerstand gegen Faschismus und Völkermord engagierte Zeitgenossinnen wie die junge Marburger Ärztin Ruby Hartbrich, die auf dem Rettungsschiff „Sea Watch 3“ den „Mantel der Gleichgültigkeit“ mit einer Rettungsweste vertauscht und Schiffbrüchige aus dem Mittelmeer versorgt. „Man bekennt, indem man handelt“, erklärte die Marburger Quäkerin Eva Hermann, die wegen ihres Einsatzes bei der Rettung von Juden vor den Gaskammern von der Nazi-Justiz ins „Zuchthaus“ eingesperrt und später mit einem Baum in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte der Völker“ geehrt wurde. Genügend Gründe, den „Mantel der Gleichtültigkeit“ abzulegen, gibt es garantiert auch heute jeden Tag überall wie auch in Marburg.

* Franz-Josef Hanke

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