Der Bund fördert die Forschungsgruppe „DAVIDF“ zur Rolle von Frauen im frühen Film mit 1,3 Millionen Euro. Das hat die Philipps-Universität am Mittwoch (21. April) mitgeteilt.
Lange Zeit wurde Frauen eine Nebenrolle in der Filmgeschichte zugewiesen, obwohl sie von Beginn an weltweit einen wesentlichen Einfluss auf die Filmproduktion genommen haben. Diese blinden Flecken in der Filmgeschichtsschreibung waren fehlenden Quellen, aber auch anders gelagerten Forschungsinteressen geschuldet. Unsichtbares sichtbar und Filmgeschichte in ihrer Vielschichtigkeit erfahrbar zu machen, ist das Ziel der neuen Nachwuchsforschungsgruppe „DAVIDF“ am Institut für Medienwissenschaft der Philipps-Universität.
Dabei verknüpft DAVIDF die drei Forschungsfelder Die feministische Filmgeschichtsschreibung, die Bedeutung digitaler Daten für die Film- und Medienwissenschaft sowie digitale Tools und Visualisierungen im Kontext der digitalen Geisteswissenschaften (Digital Humanities). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert DAVIDF mit über 1,3 Millionen Euro für vier Jahre.
„Das ist ein toller Erfolg für die Film- und Medienwissenschaft an der Universität Marburg und wird einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die digitalen Geisteswissenschaften wissenschaftlich weiterzuentwickeln und nach außen sichtbarer zu machen“, erklärte Universitäts-Vizepräsident Prof. Dr. Michael Bölker. „Ich gratuliere Dr. Sarah-Mai Dang ganz herzlich zur Förderung des BMBF.“
Die Filmgeschichtsschreibung ist davon abhängig, welche historischen Zeugnisse verfügbar sind – doch oftmals mangelt es an Quellenmaterial. Zudem beeinflussen die spezifischen Forschungsinteressen von Filmwissenschaftlerinnen und Filmwissenschaftlern, welche Aspekte der Filmkultur näher beleuchtet werden. Beispielsweise gerieten mit dem Fokus auf die Regie und die Filmästhetik lange Zeit die Produktionsbedingungen aus dem Blick.
Dass Film in der Regel ein Ergebnis einer kollaborativen Zusammenarbeit und nicht einer einzelnen Person darstellt, wird auch heute manchmal vergessen. „Dadurch sind in der Filmgeschichte einige blinde Flecken entstanden“, beklagte Dr. Sarah-Mai Dang von der Philipps-Universität, die DAVIDF („Ästhetiken des Zugangs. Datenvisualisierungen in der digitalen Filmgeschichtsschreibung am Beispiel der Forschung zu Frauen im Frühen Kino“) seit April leitet. „Neue Technologien im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung ermöglichen nun neue Formen der Analyse, Reflexion, Präsentation und des Austausches.“
Ein Beispiel dafür sieht Dang in der Repräsentation von Forschung zu Frauen im frühen Film. Bis in die 90er Jahre war es in der Filmwissenschaft Konsens, dass Frauen in den Anfangsjahren der Filmproduktion vor gut hundert Jahren nur eine untergeordnete Rolle spielten – ungeachtet der Vielzahl an Frauen, deren Arbeit für die frühe Filmindustrie von wesentlicher Bedeutung war.
„Noch heute werden die Errungenschaften von Frauen meist in Fußnoten abgehandelt“ kritisierte Dang „Dabei wissen wir dank der zunehmenden Forschung zu Frauen im Frühen Kino, dass Frauen seit Beginn der Filmgeschichte einen überraschend großen und zudem vielfältigen Einfluss in der Filmindustrie weltweit hatten.“
Das wirft einige Fragen auf wie etwa: Gibt es weitere Geschichten, die neu geschrieben werden müssen? Wie beeinflusst die zunehmende Produktion und Nutzung von Daten die Vorstellung von der Vergangenheit?
Wie kann Filmgeschichte vor dem Hintergrund verschiedener Wahrheiten und Widersprüchlichkeiten erzählt und reflektiert werden? „Digitale Repräsentationsformen wie Datenvisualisierungen bieten ganz neue Möglichkeiten für die Filmgeschichtsschreibung. Aber sie beinhalten auch Gefahren“, erläuterte Dang. „Je nachdem, wie die Daten modelliert werden und auf welche Kategorien und Konzepte man sich stützt, könnten individuelle Geschichten erneut übersehen werden – und das wieder zugunsten eines institutionalisierten Masternarrativs.“
Das sei ein Aspekt, dem sich die Nachwuchsforschungsgruppe widmen wird. Neben der Einordnung und Klassifizierung verschiedenartigen Quellenmaterials untersucht das dreiköpfige Forschungsteam insbesondere die Verfügbarmachung von Forschung sowie deren Präsentation und Vermittlung. Dabei spielen vor allem graphische Darstellungen, Datenessays und interaktive Webdokumentationen (i-Docs) eine Rolle.
„Inzwischen gibt es viele interessante Ansätze und Projekte in den Digital Humanities“, berichtete Dang. „Doch die technologischen Möglichkeiten sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Wir wollen untersuchen, inwiefern digitale Datenvisualisierungen dazu dienen können, Unsichtbares sichtbar und Filmgeschichte in ihrer Vielschichtigkeit erlebbar zu machen.“
Dabei werden verschiedene Repräsentationsformen sowohl analysiert als auch selbst kreiert und weiterentwickelt. Die Forschungsgruppe kooperiert dafür mit dem an der Columbia University, New York City, angesiedelten Women Film Pioneers Project (WFPP) und dem Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF) in Frankfurt sowie der Arbeitsgruppe Grafik und Multimedia der Philipps-Universität. „Wir knüpfen sehr gut an aktuelle internationale sowie lokale und regionale Forschungsvorhaben und Infrastrukturen zur Analyse und Gestaltung digitaler Transformationen in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft wie etwa das jüngst gegründete MCDCI der Philipps-Universität sowie das DiCi-Hub der Universitäten Marburg, Mainz und Frankfurt an“, erklärte Dang.
Ein weiterer Anknüpfungspunkt ist das internationale DFG-Netzwerk „Filmhistoriographie im Wandel“, das unter der Leitung von Dang seit 2019 ebenfalls an der Philipps-Universität angesiedelt ist. Babei handelt es sich um eine Nachwuchsgruppe im Rahmen der Richtlinie zur Förderung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zur theoretischen, methodischen und technischen Weiterentwicklung der digitalen Geisteswissenschaften durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF. Das übergeordnete Ziel dieser Förderrichtlinie ist, ein tieferes Verständnis der neuen digitalen Forschungsmöglichkeiten zu erlangen sowie die digitalen Geisteswissenschaften theoretisch, methodisch und technisch weiterzuentwickeln.
* pm: Philipps-Universität Marburg