Dr. Thomas Spies erhält den Göttinger Friedenspreis 2021. Er wird zusammen mit der Äbtissin M. Mechthild Thürmer aus Oberfranken und der Initiative „Seebrücke“ für herausragendes Engagement für Geflüchtete ausgezeichnet.
Die feierliche Preisverleihung sollte am Samstag (6. März) in Göttingen stattfinden. Wegen Corona ist sie nun kurzfristig auf September verschoben.
„Die drei Preisträger setzten sich für sichere Fluchtwege und die Aufnahme von Menschen ein, die versuchen, aus lebensbedrohlichen Gewaltsituationen über das Mittelmeer und andere Routen nach Europa zu flüchten und dort Aufnahme und Schutz zu finden“, erklärte Thomas Richter. Er ist Sprecher der „Stiftung Dr. Roland Röhl“, die den Friedenspreis zum 22. Mal vergibt.
Der Preis ist mit 5.000 Euro dotiert. Das Preisgeld teilen sich Äbtissin Thürmer und die Initiative „Seebrücke“ zu gleichen Teilen. Spies nimmt als Amtsträger kein Preisgeld entgegen.
Die Jury des Göttinger Friedenspreises würdigt den Marburger Oberbürgermeister „als einen der ersten führenden Kommunalpolitiker*innen, der sich für die Ziele der Bewegung Seebrücke engagierte“, heißt es in der Begründung der Jury. Spies – als Marburger OB einer der Mitbegründer des „Bündnisses Sicherer Häfen“ – tat das „unter anderem mit zwei offenen Briefen an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Innenminister Horst Seehofer, in denen er im September 2018 die Abschottungspolitik der EU gegenüber Flüchtlingen kritisierte und die Aufnahme von mehr Flüchtlingen nach Marburg anbot“, erläuterte die Jury weiter.
Bislang habe Seehofer sämtliche Aufnahmeangebote deutscher Städte abgelehnt, auch den zur Aufnahme bereiten Bundesländern Berlin, Thüringen und Saarland habe er eine Absage erteilt, kritisierte die Stiftung des Göttinger Friedenspreises.
„Es ist mir eine große Ehre, den renommierten Göttinger Friedenspreis zu erhalten“, erklärte Spies. „Und ich tue das stellvertretend für Marburg. Ich verstehe diese persönliche Auszeichnung als Bestätigung für unsere Bemühungen als Stadtgesellschaft. Als Marburgerinnen und Marburger stehen wir für Menschlichkeit, Offenheit und für ein freundliches Miteinander.“
Nicht zuletzt mit Initiativen wie „200 nach Marburg“, deren Ziel die Stadtverordnetenversammlung StVV beschlossen hat, hat sich Marburg überregional einen Namen als solidarische und offene Stadt gemacht. „200 nach Marburg“ setzt sich seit 2016 dafür ein, 200 zusätzliche Geflüchtete aus den Flüchtlingslagern in Griechenland in Marburg aufzunehmen. Dieses Angebot hat der Oberbürgermeister speziell für Marburg ebenso wie im Verein mit den „Sichere-Häfen“-Städten immer wieder gegenüber Bund und Land erneuert. Anfang des Jahres adressierte Spies die drastische humanitäre Notlage der Menschen im Flüchtlingslager Lipa in Bosnien, und bat den Bundesinnenminister, „eine Möglichkeit der kommunalen Aufnahme zu schaffen, um hilfsbereiten Kommunen auch die Möglichkeit zur Hilfe zu geben“. Den Brief mit der Botschaft „Wir haben Platz“ haben neben Marburg auch Darmstadt und Rüsselsheim unterzeichnet.
Auch die Leiterin des Benediktinerinnen-Klosters Maria Frieden im oberfränkischen Kirchschletten leistete Geflüchteten außerordentliche Hilfe. Thürmer gewährte Frauen in besonderen Notlagen Kirchenasyl. Durch ihren Einsatz für Menschen in Not droht ihr nun eine „empfindliche Freiheitsstrafe“ durch das Amtsgericht Bamberg.
Das Gericht klagte sie wegen „Beihilfe zu unerlaubten Aufenthalten“ sowie wegen „illegalen“ Kirchenasyls an, berichtet die Jury des Friedenspreises. „Als Christin stehe ich in der Pflicht, Menschen in der Not beizustehen“, erläuterte Thürmer. „Ich habe mir vorgestellt, dass Jesus das auch so gemacht hätte, um Menschen zu helfen, die Schutz suchen“, erklärte sie ihre Beweggründe weiter.
Gegen die Kriminalisierung von Nothilfe setzt sich die Bewegung „Seebrücke“ ein. Die Initiative hat sich die „Entkriminalisierung der Seenotrettung und eine menschenwürdige Aufnahme der Menschen, die fliehen mussten oder noch auf der Flucht sind“ zum Ziel gesetzt.
Die Lokalgruppe Göttingen erhält den Friedenspreis stellvertretend für die gesamte Bewegung. Sie setzte sich dafür ein, dass sich die Stadt Göttingen der Kampagne „Sichere Häfen“ anschloss.
Die Initiative „Seebrücke“ entstand Ende Juni 2018, als die „Lifeline“ mit 234 Menschen an Bord im Mittelmeer tagelang auf hoher See ausharren musste, da sie an keinem europäischen Hafen anlegen konnte, obwohl mehrere Städte anboten, die Menschen von der „Lifeline“ aufzunehmen. Unter ihrer Kampagne „Sichere Häfen“ schlossen sich bereits 169 deutsche Städte zusammen, die anbieten, zusätzliche Geflüchtete aufzunehmen. Zur „Seebrücke“ gehören zahlreiche lokale Gruppen in deutschen, schweizer und österreichischen Städten.
Der Göttinger Friedenspreis wird seit 1999 jährlich von der „Stiftung Dr. Roland Röhl“ an jene verliehen, die sich durch grundlegende wissenschaftliche Arbeiten oder einen herausragenden Einsatz um den Frieden verdient gemacht haben. Der Preis kann an Einzelpersonen oder Gruppen verliehen werden und ist mit insgesamt 5.000 Euro dotiert.
Stifter des Göttinger Friedenspreises ist der 1997 verstorbene Göttinger Wissenschaftsjournalist Dr. Roland Röhl. Als Journalist setzte Röhl sich vor allem mit Fragen der Sicherheitspolitik sowie der Konflikt- und Friedensforschung auseinander. In seinem Testament verfügte er, dass sein Nachlass zur Bildung eines Stiftungsvermögens verwendet wird.
Die Entscheidung über die Preisträger fällt eine unabhängige dreiköpfige Jury. Weitere Informationen gibt es unter www.goettinger-friedenspreis.de.
* pm: Stadt Marburg