Mehr als 80 Menschen haben mitgemacht bei „Tacheles“. Sie wandten sich „Mit Klartext gegen Rassismus, Ausgrenzung und Demokratiefeindlichkeit“.
Vernetzung, Diskussion und neue Projekte gegen Rassismus, Ausgrenzung und Demokratiefeindlichkeit waren das Ziel der Vernetzungskonferenz „Tacheles! –
Marburg, lass uns reden“. Mehr als 80 Teilnehmende haben sich mit ihren persönlichen Erfahrungen mit Rassismus und Demokratiefeindlichkeit eingebracht und gemeinsam Antworten gesucht, wie man dagegen vorgehen könne. Mit dabei waren die Journalistin Hatice Akyün, die sich selbst schon mal zu Heidi Acker gemacht hat, um eine Wohnung zu bekommen; sowie Sozialaktivist Ali Can, der bei Pegida-Demos den Diskurs gesucht hat.
„In Marburg haben wir eine klare Haltung: Für alle Varianten von Rassismus, Sexismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ist bei uns kein Platz!“, betonte Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies. Das bringe ein positives Klima in die Stadtgesellschaft. Dennoch: „Auch bei uns in Marburg garantiert das nicht, dass Rassismus, Homophobie und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verschwinden.“ Auch in Marburg passiere es: Menschen würden nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen oder bekämen eine Wohnung nicht, wenn sie beispielsweise einen arabisch klingenden Namen hätten. Deswegen sei es wichtig, weiter gegen Diskriminierungen Stellung zu beziehen – und darüber auch ins Gespräch zu kommen. Bei der Konferenz „Tacheles! – Marburg, lass uns reden“ ging es um Vernetzung, um Sprache, um Hass im Netz und darum, wie man Diskriminierung und Rassismus auf den verschiedenen Ebenen begegnen könne.
Mit kurzem Input ging die Konferenz los: Can berichtete, dass ihn Schüsse auf Asylheime betroffen gemacht hätten; er habe sich gefragt, was er selbst tun könne.
Also sei er durch Deutschland gereist, habe beispielsweise bei Pegida-Veranstaltungen das direkte Gespräch gesucht. „Ich wollte kritische Denkprozesse anstoßen“, erklärte er.
Außerdem richtete er die „Hotline für besorgte Bürger“ ein. Menschen konnten ihn anonym anrufen und mit ihm über ihre Sorgen bezüglich Geflüchteter sprechen. „An manchen Stellen geben Menschen Rassismen weiter, statt in einen differenzierten Diskurs zu gehen“, berichtete Can.
Das müssten sie aber, denn die Gesellschaft müsse sich an hybride Identitäten gewöhnen. „Es gibt mehr als eins“, stellte er fest. „Und wir müssen aushalten, dass es keine eindeutigen kulturellen Identitäten gibt.“ Wenn jemand eine dunkle Hautfarbe habe oder Moslem sei, heiße das nicht, dass derjenige auch einen Migrationshintergrund habe.
„Wir sind diskriminiert auch in Marburg“, stellte Charles Tchoula fest..“ Wegen unserer Hautfarbe kommen wir nicht in Clubs hinein.“
Er ist Generalsekretär des Afrikanischen Studierendenvereins Marburg. „An der Uni wollen manche auch nicht mit uns in einer Gruppe arbeiten“, berichtete er aus seinem Alltag in Marburg.
Barbara Sonnenberger sprach für die Initiative „Wehrda ist bunt“ ebenfalls zu Beginn der Veranstaltung, um einen Input für die Diskussion und die anschließenden Workshops zu geben. „Wir wollen in Wehrda die Menschen zusammenbringen und sie Vielfalt erleben lassen“, erklärte sie.
Im Anschluss an die Eröffnungsdiskussion tauschten die rund 80 Teilnehmenden sich in sechs Workshops aus. Dabei ging es unter anderem um Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt, um gesellschaftliche Gegenstrategien zu Rassismus und Diskriminierung, zu Sexismus von rechts; es ging um Sprache und Stereotypen und um die Antidiskriminierungsstelle Mittelhessen sowie die Meldestelle „Hessen gegen Hetze“ der Hessischen Landesregierung.
Denn gerade im Internet gibt es laut Markus Wortmann und Axel Schröder von der Meldestelle viel Hass, viele abwertende Aussagen, die zu großen Teilen auch strafbar seien. So seien der Meldestelle, die es seit etwa einem Jahr gibt, bislang 2.000 Hasskommentare gemeldet worden. Die Hälfte enthielt Hasskommentare.
Davon die Hälfte – also gut 500 Kommentare – waren strafbar. Insgesamt gingen 27 Vorgänge an das Landeskriminalamt – wegen konkreter Bedrohungen; rund 600 Vorgänge gingen an die Staatsanwaltschaft.
Die Meldestelle – die nur auswertet, was ihr gemeldet wird – zählte 233 Mal Volksverhetzung, 223 Beleidigungen; 212 der gemeldeten 2.000 Kommentare gingen gegen geflüchtete Menschen, 210 gegen politisch Andersdenkende, 185 gegen amtierende Politiker*innen.
Diese und andere Ergebnisse und Erkenntnisse aus den Workshops wurden im Anschluss öffentlich per Live-Stream allen Interessierten vorgestellt und auch mit allen Interessierten diskutiert. So hat die Stadt zusammen mit Prof. Uli Wagner von der Philipps-Universität eine Studie in Marburg und im Landkreis Marburg-Biedenkopf initiiert, die belegt, dass Menschen mit fremd klingenden Namen weniger zu Wohnungsbesichtigungen eingeladen werden.
Eine Idee sei, eine Anlaufstelle zu bieten, die rechtlich fundierte Beratung biete. Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt sei aber nur schwer rechtssicher nachweisbar.
Es gibt also Handlungsbedarf gegen Rassismus und Ausgrenzung – auch in Marburg. Die Ideen, die die Konferenzteilnehmenden für Gegenstrategien und Projekte entwickelten, werden nun ausgewertet und sollen in einen Aktionsplan münden. Außerdem können zivilgesellschaftliche Initiativen weiterhin Mittel für Projekte in diesem Themenfeld bei der Stadt beantragen.
Zum Abschluss des Netzwerk-Tages gab es noch eine öffentliche Online-Lesung mit Hatice Akyün. Die Journalistin las aus ihren Kolumnen vor. Dabei berichtete sie unter anderem, dass sie bei Bewerbungen um Wohnungen in Berlin keine Rückmeldungen oder nur Absagen erhielt.
Ihr Kollege – gleiches Gehalt, gleicher Job, ebenfalls Migrationshintergrund aber als Schweizer – sei bei den gleichen Wohnungen eingeladen worden. Und so nannte sie sich am Telefon mal Heidi Acker, um überhaupt zur Besichtigung eingeladen zu werden. Die Wohnung erhielt sie.
Die Online-Konferenz „TACHELES!“ ist Teil des Handlungsprogramms „Für Dialog und Vielfalt – Gegen Rassismus, Ausgrenzung und Demokratiefeindlichkeit“ der Universitätsstadt Marburg. Mehr Infos zu dem Programm erhalten Interessierte unter marburgmachtmit.de/page/dialog-vielfalt oder per Mail an marburgmachtmit@marburg-stadt.de.
* pm: Stadt Marburg