Der südkoreanische Botschafter Dr. Bum Goo Jong sprach auf Einladung von Universität und Stadt zum Jahrestag der Wiedervereinigung. „30 Jahre deutsche Einheit – aus südkoreanischer Perspektive“ waren sein Thema.
Am 3. Oktober 2020 feiert Deutschland den 30. Jahrestag der Deutschen Einheit. Das wiedervereinte Deutschland hat sich zu einem stabilen Land im Herzen Europas entwickelt. Das geschah allerdings nicht ohne Probleme.
Wie blickt die Republik Korea (Südkorea) auf den deutschen Einheitsprozess? Bietet die jüngere deutsche Geschichte eine Blaupause, um wieder einen gemeinsamen Staat aus der Volksrepublik Korea (Nordkorea) und der Republik Korea aufzubauen? Lassen sich aus den Erfahrungen im deutschen Einheitsprozess Lehren ziehen, die helfen könnten, Fehler nicht zu wiederholen? Oder ist die Situation auf der koreanischen Halbinsel mit der in der DDR und der Bundesrepublik vor 1990 nicht vergleichbar?
Diesen Fragen widmete sich der Botschafter der Republik Korea am Mittwoch (23. September) in der Universitätsbibliothek. Damit folgte er einer Einladung der Philipps-Universität und der Stadt Marburg.
„Ich freue mich sehr, Herrn Botschafter Dr. Bum Goo Jong erneut an seiner Alma Mater begrüßen zu dürfen“, sagte Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause. Im Jahr 1990 hatte Bum Goo Jong am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität promoviert. Zu einem Austausch über seine alte Wirkungsstätte war der Botschafter bereits im April 2019 nach Marburg gekommen.
„Auf den ersten Blick haben Deutschland und die Halbinsel Korea eine Gemeinsamkeit: eine Jahrzehnte währende Teilung in zwei Staaten“, sagte Krause. „Die Gründe für die Teilung sind jedoch verschieden. Herr Dr. Bum Goo Jong kann von außen auf Deutschland blicken, er hat aber auch Innenansichten: Er hat die deutsche Wiedervereinigung hier in Marburg miterlebt. Deshalb ist der gegenseitige Austausch so wichtig und interessant.“
Dem stimmte auch Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies zu und ergänzte: „Wir sollten offen füreinander sein, für all die Unterschiede und Besonderheiten, die uns eben zu dem machen, wer wir sind. Dann können wir auch voneinander im besten Sinne profitieren – nämlich indem wir voneinander lernen.“ Trennung müsse nicht als etwas Endgültiges betrachtet werden, sondern als die „Möglichkeit für einen Neuanfang.“
Für junge Generationen ist die Wiedervereinigung ein Thema des Geschichtsunterrichts, für ältere Generationen ist es das meist nicht. „Die Aufarbeitung des 30-jährigen Transformationsprozesses in Ostdeutschland, und seinen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen sowie politisch-kulturellen Verwerfungen hat erst jetzt begonnen“, erklärte Prof. Dr. Ursula Birsl vom Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität. „Ob wirklich von einer ,deutschen Einheit‘ gesprochen werden kann, ist aktuell umstritten.“
Sie hatte den Besuch des Botschafters initiiert und begrüßte die Gäste, die sowohl vor Ort als auch online zugeschaltet waren. „Der deutsche Einheitsprozess ist ein Novum in der Geschichte moderner Nationalstaatsbildung“, führte Birsl in das Thema ein. „Kann er als Blaupause für die koreanische Halbinsel dienen? Hier müssten allerdings gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ordnungen miteinander vereint werden, die nicht unterschiedlicher sein können.“
Die Halbinsel Korea wurde zwar 1945 von Japan unabhängig, geriet aber in den Folgejahren zwischen die Fronten der sich etablierenden Weltmächte Sowjetunion und USA. Der Koreakrieg von 1950 bis 1953 verfestigte die Teilung – mit der Folge, dass zwei Staaten entstanden: die Volksrepublik Korea – auch Nordkorea genannt – ist ein totalitärer Staat, während die Republik Korea – auch „Südkorea“ dem Modell westlicher Demokratien folgt.
Die jüngere Geschichte der beiden koreanischen Staaten bewegt sich zwischen Annäherung und Konfrontation von Seiten Nordkoreas. Die friedliche Wiedervereinigung Koreas ist ein Thema, für das Bum sich schon lange engagiert beispielsweise als Sprecher der südkoreanischen Demokratischen Partei des Neuen Milleniums in den 2000er Jahren.
Prof. Dr. Annette Henninger vom Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität skizzierte in ihrer Begrüßung weitere wichtige Stationen im Lebenslauf des heutigen Botschafters. Seit Januar 2018 ist er Botschafter der Republik Korea in Deutschland.
Zu Beginn seines Vortrags bezeichnete der Botschafter Marburg als „Schmiede seines politischen Denkens“. „In Marburg fühle ich mich sofort freier, liberaler und intellektueller“, sagte er. In seinem Vortrag skizzierte der Botschafter dann, welche Lehren die Halbinsel Korea aus den deutschen Erfahrungen ziehen könne.
So scheine die „Sonnenscheinpolitik“ Südkoreas vom deutschen „Wandel durch Annäherung“ inspiriert zu sein. Und auch wenn die Wunden des Krieges tiefer und die Gräben zwischen Nord- und Südkorea breiter erschienen als zwischen Ost- und Westdeutschland, gebe ihm dieses Prinzip der Annäherung Hoffnung, dass die Wiedervereinigung Koreas kein unmöglicher Traum sei.
* pm: Philipps-Universität Marburg