Fremdenfeindliche Straftaten sind umso seltener, je mehr Ausländerinnen und Ausländer in einer Region leben. Das zeigt eine aktuelle empirische Studie.
Das Team um den Sozialpsychologen Prof. Dr. Ulrich Wagner berichtet in der Fachzeitschrift „Social Psychology Quarterly“ über seine Ergebnisse. Am Dienstag 27.Mai) legte das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) die Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2019 vor; die Hasskriminalität, zu der fremdenfeindliche Verbrechen zählen, nahm erneut um 5,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu.
„Wir haben überprüft, inwieweit die Häufigkeit von fremdenfeindlichen Straftaten damit zusammenhängt, wie viele Ausländerinnen und Ausländer in einer Region leben“,berichtete Mitverfasser Dr. Uwe Kemmesies von der Forschungs- und Beratungsstelle Terrorismus/Extremismus (FTE) des Bundeskriminalamts (BKA). „Soweit wir wissen, gibt es bisher keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die der Verbindung zwischen dem Anteil von Ausländerinnen und Ausländern einerseits und Auftreten von Hassverbrechen nachgehen“, ergänzte Leitautor Wagner von der Philipps-Universität.
Als von 2015 an die Anzahl der Geflüchteten anstieg, die in die Bundesrepublik kamen, gab es immer mehr fremdenfeindliche Übergriffe – für das Jahr 2016 verzeichnet die Statistik im Vergleich zu 2014 mehr als doppelt so viele Straftaten gegen Migrantinnen und Migranten sowie ethnische Minderheiten; die Zahl der Brandanschläge gegen Asylbewerberheime verzwölffachte sich.
Der Anstieg war aber nicht überall gleich hoch; so kamen in den östlichen Bundesländern mehr solcher Straftaten vor als in den westlichen Bundesländern.
Fachleute haben zur Erklärung zwei Theorien aufgestellt: Leben viele Ausländerinnen und Ausländer in einer Region, so gibt es der Gruppenkontakt-Theorie zufolge mehr Möglichkeiten zum Kontakt mit ihnen; die positiven Erfahrungen, die man dabei mache, führten zum Abbau negativer Vorurteile.
Die Bedrohungstheorie hingegen besagt, ein höherer Anteil an Ausländerinnen und Ausländern wecke bei der Bevölkerungsmehrheit ein Gefühl der Bedrohung –
Bedrohung des ökonomischen Status, wichtiger Wertvorstelllungen und Normen; das Empfinden, bedroht zu sein, rufe Zurückweisung und diskriminierendes Verhalten hervor.
„Beide Erklärungsansätze erscheinen plausibel sowohl auf der Basis von Alltagsüberlegungen als auch vor dem Hintergrund wissenschaftlicher Theorien“, erklärte Wagner. Die Forscher nutzen für die Prüfung beider Theorien Daten der Statistik zur Politisch motivierten Kriminalität des BKA aus dem Berichtsjahr 2015. In diesem Jahr erreichte der Zuzug von Geflüchteten seinen Höhepunkt.
Die Polizei verzeichnete besonders viele einschlägige Straftaten. Die Untersuchung setzt die Zahlen zu den strukturellen Merkmalen der insgesamt 402 deutschen Regierungsbezirke ins Verhältnis.
Das Ergebnis ist eindeutig: Je mehr Ausländerinnen und Ausländer in einem Bezirk leben, umso geringer fällt die Anzahl fremdenfeindlicher Straftaten au. Das gilt selbst nach Ausschluss aller möglichen Störfaktoren.
Überraschenderweise steht die Häufigkeit von Hassverbrechen in keinem signifikanten Zusammenhang mit dem Anteil der Geflüchteten in den einzelnen Bezirken, wohl aber mit dem Gesamtanteil der Ausländerinnen und Ausländer in einem Bezirk. „Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass Ausländerinnen und Ausländer in bestimmten Bezirken schon länger präsent sind, was für das Verhalten zwischen den Gruppen relevanter ist als neu hinzugekommene Geflüchtete“, vermuten die Autorinnen und Autoren. Die kurze Anwesenheit von Geflüchteten in einigen Bezirken reiche hingegen möglicherweise nicht aus, um positive Kontakte zu ermöglichen, die das Verhalten zwischen den verschiedenen Gruppen prägen könnten.
Wagner lehrte bis 2019 Sozialpsychologie an der Philipps-Universität. Außerdem leitete er eine Forschungsgruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
* pm: Philipps-Universität Marburg
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