Ursprünglich und frei kann sich die Lahn bei Gisselberg nun entfalten. Die Renaturierung des eineinhalb Kilometer langen Flussabschnitts ist zum Großteil abgeschlossen.
Dreimal so breit wie zuvor ist das Flussbett nun. Kiesbänke und Totholz bieten Lebensraum für viele Tier- und Pflanzenarten.
Insbesondere im Frühling lockt das Naturidyll zum Spazierengehen und Genießen. Die Stadt Marburg bittet um Rücksichtnahme und ruft vor allem dazu auf, Hunde anzuleinen – und Abstand zu halten.
„Wir freuen uns, dass die Arbeiten so schnell vorangegangen sind“, erklärte Bürgermeister Wieland Stötzel. „Dieser renaturierte Lahnabschnitt leistet einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz und für die Artenvielfalt in unserer Region. Menschen, die dort spazieren gehen, bitten wir, sich umsichtig zu verhalten, um Tiere und Pflanzen nicht zu stören oder gefährden.“
Die Renaturierung der städtischen Flächen entlang der Lahn hat die Stadt Marburg angestoßen, das Regierungspräsidium Gießen willigte ein. Die Kosten von etwa 1,8 Millionen Euro werden aus Mitteln des Landes Hessen und des EU-LIFE-Projekts „Living Lahn – ein Fluss, viele Ansprüche“ finanziert.
Die Lahn ist nun auf dem eineinhalb Kilometer langen Abschnitt der „Gisselberger Spannweite“ dreimal so breit wie zuvor und dafür weniger tief. Seit September 2019 wurden umfangreiche Erdarbeiten durchgeführt und dabei mehr als 100.000 Kubikmeter Erde und Kies dank der trockenen Witterung in kürzester Zeit bewegt.
Teile des fruchtbaren Bodens kamen in der Landwirtschaft zum Einsatz, oder wurden in die benachbarten Kiesgruben bei Niederweimar verfüllt. Der verbleibende Kies wurde für die Gestaltung der Aue verwendet zum Beispiel für die Anlage von Kiesbänken.
Die Kiesbänke hat die Lahn bereits nach den ersten – vergleichsweise harmlosen – Hochwasser-Ereignissen im Winter umgelagert. Diese Umlagerung als eine dynamische Entwicklung ist ein Ziel der Renaturierung und typisch für unbeeinflusste Gewässer. So wird ein Nebeneinander verschiedener ökologisch bedeutsamer „Strukturen“ erreicht wie zum Beispiel Geschiebeablagerungen als Sand- oder Kiesbänke oder die Anlandung von Totholz.
Diese „Strukturen“ dienen zahlreichen Lebewesen als Lebensraum, Brutstätte, Nahrungsquelle oder Unterschlupf. Inzwischen hat sich so bereits ein wertvoller Lebensraum entwickelt, der zahlreichen Brut- und Rastvögeln Aufenthaltsmöglichkeiten bietet.
Die Bauarbeiten wurden 2019 weitgehend abgeschlossen. Für das Frühjahr 2020 stehen nur noch einige Restarbeiten an.
So wird weiteres Totholz in die Lahn und ihre neu geschaffenen Parallelgerinne eingebaut. Außerdem werden mehrere Auentümpel als Laichhabitate für die Kreuzkröte hergerichtet und teilweise mit Lehm ausgekleidet. Der Lehm wurde bei den Bauarbeiten in der Aue vorgefunden und gesondert für diesen Zweck zwischengelagert.
Anschließend werden einige der Flächen mit blütenreichem einheimischem Saatgut wieder eingesät. Das soll zum einen verhindern, dass sich eintönige Neophyten-Bestände ausbreiten – Pflanzenarten, die ursprünglich nicht in der Region heimisch sind. Dazu zählt in der Aue zum Beispiel das Indische Springkraut.
Zudem sollen Lebensräume für besonders gefährdete Arten – wie den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling – aufgewertet werden. Eine studentische Masterarbeit, die am Fachbereich Biologie der Philipps-Universität verfasst wird, wird die Entwicklung der verschiedenen Flächen untersuchen. „Wenn die Arbeiten endgültig abgeschlossen sind und die derzeitigen Corona-Beschränkungen es wieder zulassen, wird es voraussichtlich auch eine Einweihung derGisselberger Spannweite mit Besuch aus Wiesbaden geben“, kündigte Bürgermeister Stötzel an.
Dass sich die „Gisselberger Spannweite“ bereits 2019 zu einem besonderen und attraktiven Kleinod entwickelt hat, darüber sind nicht nur Tiere und Pflanzen erfreut: Zahlreiche Menschen nutzen das Gebiet für Spaziergänge und zum Entspannen in der Natur. In diesem Zusammenhang bittet die Universitätsstadt Marburg um rücksichtsvolles Verhalten und darum, den Mindestabstand zueinander aufgrund von Corona einzuhalten.
Damit alle den Spaziergang in der Aue genießen können und damit Rastvögel und besonders auch bodenbrütende Vogelarten eine Chance haben, diesen Lebensraum zu nutzen, müssen Hunde an der Leine ausgeführt werden. „Bitte zeigen Sie Verständnis für die wenigen verbliebenen Lebensräume, die für viele unserer typischen und auch häufig gefährdeten einheimischen Arten zur Verfügung stehen“, lautet der Appell der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt.
Die Baumaßnahme ist Teil des EU-LIFE-Projekts „Living Lahn – ein Fluss, viele Ansprüche“. Die Finanzierung wird ermöglicht aus Mitteln des LIFE-Projekts sowie Geldern aus der hessischen Fischerei-Abgabe und aus dem Integrierten Klimaschutzplan 2025. Die Stadt Marburg begleitet gemeinsam mit dem Regierungspräsidium Gießen die Bauarbeiten.
* pm: Stadt Marburg