Theater lebt: TNT baut auf Solidarität mit Kulturschaffenden

„Theater lebt von der Interaktion mit dem Publikum“, erklärt Charlotte Bösling. „Ihre Kraft entfaltet unsere Kunst durch die gleichzeitige Anwesenheit in einem gemeinsamen Raum.“
Bösling ist Pressesprecherin vom „Theater neben dem Turm“ (TNT). Sie ist eines von fünf Teammitgliedern.
„Für uns gibt es ja noch ein Minimum an Sicherheit, weil wir in Maßen durch die Förderung seitens der Stadt gesichert sind“, erklärt sie. „Aber auch wir können von unserem monatlichen Einkommen kaum leben. Noch schlimmer trifft es aber die Freien, die sich auch sonst unter prekären Bedingungen von einem Auftrag zum Anderen hangeln.“
In den letzten Tagen habe sie intensiv nach Hilfsmöglichkeiten gesucht, berichtet Bösling. „Die meisten Links führten jedoch ins Leere“, bedauert sie. „Hilfreiche und aussagekräftige Angaben habe ich bei Bund und Land bisher noch nicht gefunden.“
Bösling hofft allerdings darauf, dass sich das nach Verabschiedung des großen Hilfspakets der Bundesregierung in den nächsten Tagen ändern wird. Außerdem wird das TNT über die Internetplattform www.marburg-liebe.de Gutscheine anbieten, die Freunde des Theaters jetzt kaufen und nach dem Ende der Beschränkungen einlösen können. Auf dem neuen Webportal können Menschen jetzt Gutscheine ihrer Lieblingsläden, Restaurants oder Kulturschaffenden erwerben und ihnen so mit einer Vorauszahlung über die schwere Zeit hinweghelfen.
Denkbar wäre auch, Kulturschaffenden Gutscheine für den Lieferdienst des eigenen Lieblingsrestaurants zu schenken, womit die Spendenden dann gleich zwei Anliegen mit einer Summe fördern könnten. „Viele Kulturschaffende haben keine Rücklagen und bald nichts mehr zu essen“, weiß Bösling. „Manche scheuen sich aber, um Hilfe zu bitten, weil sie sich nicht als bedürftig empfinden.“
Ebenso wie die Anerkennung für die Leistung vieler engagierter Menschen in Medizin und Pflege, Supermärkten und Feuerwehr oder Polizei wäre aber auch die Spende für Kulturschaffende ganz bestimmt kein Almosen, sondern der gebührende Dank für jahrelange Leistung in Strukturen unwürdiger Selbstausbeutung. Die gigantische Welle der Hilfsbereitschaft rückt derzeit jedenfalls die entgleisten Kriterien finanziellen Ausdrucks von Wertschätzung zurecht, die viele Berufe gering geschätzt hat, die sich nun als „systemrelevant“ erweisen. Sicherlich ist auch Kultur und Theater ein Gut, das Menschen zur Entfaltung ihrer Humanität benötigen wie die saubere Luft zum Durchatmen.
Trotzdem möchte das TNT derzeit keine Theaterproduktionen online stellen. „Wir haben zwar Aufzeichnungen früherer Produktionen, wollen sie jetzt aber nicht kostenlos(das sollte weg) ins Internet stellen, wo sowieso schon zahlreiche andere Angebote zu finden sind“, erklärt Bösling. „Vielleicht finden wir bald aber ein eigenes Format für das Internet.“
Bösling hat bei Heiner Goebbels in Gießen angewandte Theaterwissenschaften studiert. 2018 kam sie zum TNT, wo sie seither für Pressearbeit und Organisation (sowie Technik) verantwortlich zeichnet. „Ich bin gern in Marburg und fühle mich hier sehr wohl“, erklärt sie.
Marburg mit seinem herausragenden Angebot unterschiedlichster Kulturinitiativen und Institutionen sollte seine Kulturschaffenden jetzt moralisch wie materiell unterstützen. Gerade auch sie bilden die Grundlage des Geists der Offenheit und Solidarität, der jetzt gefragter ist denn je. Schließlich ist Solidarität ebensowenig eine Einbahnstraße wie Kunst und Theater.

* Franz-Josef Hanke

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