2017 jährt sich nicht nur die Reformation; auch jüdische Geschichte, Kultur und Religion in Marburg erleben ein Jubiläum. Ein umfangreiches Programm macht 700 Jahre jüdisches Leben erlebbar.
Unterstützt vom Fachdienst Kultur der Stadt Marburg und weiteren Kooperationspartnern, hat die Jüdische Gemeinde Marburg zum 700-jährigen Jubiläum ein umfangreiches Programm zu Geschichte und zur Gegenwart zusammengestellt. Alle Interessierten sind eingeladen, die vielfältigen Facetten jüdischer Geschichte, Kultur und Religion zu erleben und sich bei Begegnungen und Gesprächen auszutauschen.
Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies stellte das Programm mit Vorträgen, Stadtspaziergang, Sommerfest und vielem mehr am Montag (10. April) gemeinsam mit der stellvertretenden Vorsitzenden Monika Bunk von der Jüdischen Gemeinde Marburg
, dem städtischen Fachdienstleiter Dr. Richard Laufner, der stellvertretenden Leiterin Dr. Annegret Wenz-Haubfleisch vom Hessischen Staatsarchiv marburg, Dr. Katharina Schaal vom Archiv der Philipps-Universität und Propst Helmut Wöllenstein für die evangelische Kirche vor. „Wir freuen uns, dass der Beitrag, den die jüdische Kultur zum Leben unserer Stadt leistet, zu diesem Jubiläum besonders sichtbar wird“, betonte Spies.
Jüdisches Leben in Marburg reicht bis ins Mittelalter zurück. Am 15. Mai 1317 wurde die erste Marburger Synagoge in einer Urkunde erstmals erwähnt. „Aber da stand sie schon“, so Bunk, die darauf verwies, dass die Synagoge in dem Schriftstück als Ortsbeschreibung für ein gegenüberliegendes Grundstück diente. Sie wurde um 1280 in der Judengasse, heute Schlosssteig/Willy-Sage-Platz, erbaut. Bei Baumaßnahmen zufällig entdeckt, sind ihre Fundamente dort heute unter einem Glaskubus zu sehen. Das Judentum erlebte in den folgenden Jahrhunderten wechselvolle Zeiten.
Einen sichtbaren Höhepunkt stellte die Errichtung der repräsentativen Synagoge von 1897 in der Universitätsstraße dar, den Tiefpunkt die Vertreibung und Vernichtung durch den Nationalsozialismus, die mit der Brandstiftung und Sprengung dieser Synagoge begannen. Erst langsam entstand nach 1945 wieder jüdisches Leben in Marburg. Heute prägt es die Stadtkultur erneut in vielfältiger Weise.
Dass der Holocaust im Jubiläumsprogramm nicht explizit vorkommt, begründete Bunk damit, dass die Erinnerung in jedem Jahr einen wichtigen Stellenwert hat und auch 2017 am 9. November der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird. Beim Jubiläum in diesem Jahr sollten jedoch andere Themen im Mittelpunkt stehen.
„Das Judentum ist 700 Jahre lebendig gewesen und ist es wieder“, erklärte Bunk. „Und das Gedenken fällt nicht weg; es steht nur nicht im Fokus“, ergänzte Spies.
Das Programm umfasst ganz unterschiedliche Veranstaltungen. „Musik, wissenschaftliche und historische Vorträge und auch Unterhaltsames“, berichtete Bunk. So werde es am 2. Oktober einen großen Neujahrsempfang der Jüdischen Gemeinde im Erwin-Piscator-Haus (EPH) geben und am 8. Oktober in der neuen Synagoge Begegnungsmöglichkeiten beim Laubhüttenfest.
Wenz-Haubfleisch berichtete, dass das Staatsarchiv im November eine Ausstellung plant, an der sich laut Schaal auch die Philipps-Universität beteiligt. Vor allem werde das 19. Jahrhundert in den Mittelpunkt gerückt, als sich Juden erstmals emanzipiert zeigten, in dem aber auch der Antisemitismus verstärkt auftrat. Wenz-Haubfleisch hofft, dass dann auch die Ersterwähnungsurkunde der mittelalterlichen Synagoge nach Marburg kommen wird, die sich in einem Privatarchiv befindet.
„Man muss die Feste feiern, wie sie fallen“, sagte Propst Wöllenstein im Hinblick auf das gleichzeitige Reformationsjubiläum. „Denn das ist kein Unfall, sondern ein Glücksfall.“
Dass beide Jubiläen in dieses Jahr fallen, eröffne die Gelegenheit zu kritischer Auseinandersetzung etwa mit dem Antisemitismus Martin Luthers. „Es ist nicht gerade ein Jubelthema“, meinte Wöllenstein, „aber ein verantwortungsvoller Umgang mit der Geschichte“.
Über das Jubiläumsjahr hinaus wird es einen Themenweg zum Jüdischen Leben in Marburg geben, den Laufner präsentierte. Gäste und Einheimische könnten auf ihm Geschichte selbst erkunden zwischen der mittelalterlichen und der neuen Synagoge über den Garten des Gedenkens, auf dem das von den Nationalsozialisten niedergebrannte Gotteshaus stand. Ein Faltblatt mit Karte ist ab sofort bei der Marburg Stadt und Land Touristik GmbH erhältlich oder kann unter www.marburg.de/juden heruntergeladen werden.
* pm: Stadt Marburg