Der Kolonialismus lebt. Nicht zuletzt deshalb müssen Tausende im Mittelmeer sterben.
Allein wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe verweigern Regierungen nicht nur in Italien und Malta Menschen einen „sicheren Hafen“. Dabei schreibt das Internationale Seerecht vor, dass Schiffbrüchige nicht dorthin gebracht werden dürfen, wo ihnen Gefahr für Leib und Leben droht. Doch auf dem Mittelmeer werden Seenotretter angefeindet, bedroht und angeklagt, obwohl sie sich nur an geltendes Internationales Recht und ihre humanitäre Pflicht halten.
Die Kapitänin Carola Rackete von „Sea Watch“ war drei Tage lang in italienischer Haft, weil sie Geflüchtete in Lampedusa an Land gebracht hat. Italiens Innenminister Matteo Salvini droht Seenotrettern mit Repressalien von 50.000 Euro Geldstrafe bis hin zu Haft und Beschlagnahme ihrer Schiffe. All dem haben europäische Regierungen viel zu lange schweigend zugeschaut.
Eigentlich wäre es jedoch die Pflicht der Europäischen Union (EU), eine Seenotrettung vor ihren Küsten zu gewährleisten. Doch die europäische Marine-Mission „SOFIA“ scheiterte am Starrsinn desRassisten Salvini. Dabei hätte die Bundesmarine diese – für ihre Beteiligten überaus sinnstiftende – Mission gerne fortgesetzt.
Wären die menschen an Bord hellhäutige Europäer, so stiegen sofort Hubschrauber auf und Dutzende von Schiffen eilten zu ihrer Rettung herbei. Aber die verzweifelten Menschen an Bord der Schlauchboote im Mittelmeer kommen aus Afrika und haben meist eine dunkle Haut. Ihnen die Rettung zu verweigern und sie – wie Salvini – sogar aktiv zu behindern, ist skrupelloser Mord aus rassistischen Motiven.
Die Behauptung, man müsse die Rettung Schiffbrücher im Mittelmeer behindern, damit nicht noch mehr Menschen den gefährlichen Weg über´s Mittelmeer antreten, ist Ausdruck kolonialistischen Denkens. Während europäische Länder weiterhin die Lebensbedingungen der Menschen in Afrika durch subventionierte Exporte, rücksichtslose Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen, den in Europa verursachten Klimawandel, Waffenlieferungen und „Entwicklungshilfe“ für korrupte Regimes bedrohen, betrachten sie die daraus beinahe folgerichtig entstehende Fluchtbewegung nur aus der Sicht der europäischen Interessen. Den durch die spätkolonialistische Politik auf dem Rücken Afrikas erworbenen Reichtum Europas wollen sie nicht mit denen teilen, die zu Recht ihren Anteil daran erflehen.
Ohne größeren Aufwand könnte die EU in verschiedenen afrikanischen Ländern Anlaufstellen für Einwanderungswillige einrichten und ihnen so den gefährlichen Weg über´s Mittelmeer ersparen. Indem das nicht geschieht, ist die EU selber wirkungsvollste Unterstützerin von Schlepperbanden. Diese Verantwortung dann den Rettungsorganisationen zuzuschieben, ist eine perverse Verdrängung eigener Schuld für Krieg, Hunger, Elend und Tod.
Leider sind Leben und Würde von Menschen für viele nichts wert, wenn die Betroffenen eine dunkle Haut haben oder aus Afrika kommen. Die Leuchtfeuer-Preisträgerin Ruby Hartbrich beschrieb die Schiffbrüchigen in den Schlauchbooten in einem Artikel der Oberhessischen Presse (OP von Dienstag (25. Juni) sehr eindringlich:
„Die Menschen treiben auf dem Mittelmeer, die riesigen Schlauchboote, völlig überladen, drohen unterzugehen. Sie haben nicht genug Treibstoff dabei, um jemals das Ufer zu erreichen. Nicht genug Nahrung, nicht genug Trinkwasser, keinen Schutz vor der brennenden Sonne, keine medizinische Versorgung. Sie sind dehydriert, verbrannt von der Sonne und der Mischung aus Benzin, Urin und Salzwasser im Boot. Völlig verzweifelt schreien sie schon von weitem um Hilfe, sind hysterisch. An Bord sind Männer, Frauen, Schwangere und sogar Säuglinge.“
Ginge es nach dem deutschen Innenminister Horst Seehofer und seinem italienischen Amtskollegen Salvini, müssen sie fürchten, wieder nach Libyen zurückgebracht zu werden, von wo sie vor Misshandlung, Folter und Vergewaltigung geflohen waren. Rassismus und Kolonialismus würden das Leid dann wieder nach Afrika verdrängen, während Europa sich des Reichstums globaler Ausplünderung erfreut.
Aber es geht bei der Seenotrettung nicht nur um den Versuch, die Vorherrschaft Europas gegen die Folgen seines jahrhundertelangen Kolonialismus abzuschotten, sondern auch um die grundlegendsten Regeln der Humanität. Treffender als Hartbrich kann man es kaum auf den Punkt bringen: „Es ist kein Verbrechen, Menschen zu retten, sondern eine Pflicht. Es ist ein Verbrechen, ihnen beim Ertrinken zuzugucken.“
* Franz-Josef Hanke